Tödlicher Mittsommer
hatte, sie klang trotzig wie ein kleines Kind.
»Ich mache, was ich will, da du ja zu glauben scheinst, dass du machen kannst, was du willst, ohne dich um irgendwas anderes als deinen verdammten Job zu kümmern.« Henrik kochte vor Wut, seine Lippen waren ganz weiß. »Mit mir brauchst du in dieser Angelegenheit nicht zu rechnen«, fuhr er fort. »Ich bin unglaublich enttäuscht von dir, das kann ich dir versichern. Geht es noch egoistischer, sag mal? Du hast zwei Kinder, hast du das vergessen?«
»Die hast du ja wohl genauso!«, fauchte Nora zurück. »Aber andauernd segeln gehen, das ist natürlich in Ordnung, während ich zusehen muss, wie ich allein mit allem zurechtkomme.« Sie erhob sich so abrupt, dass der Stuhl nach hinten kippte. »Wie kannst du bloß so borniert reagieren? Du solltest stolz auf mich sein! Froh darüber, dass man deiner Frau einen so interessanten Job anbietet!«
Sie holte tief Luft und versuchte, ihre Stimme wieder unter Kontrolle zu bringen, die zu versagen drohte.
»Stattdessen bist du nur missgünstig und gemein.«
»Ich versuche, das zu bewahren, was wir haben. Und an das Beste für die Kinder zu denken. Aber du führst dich auf wie eine verzogene Göre, die ein neues Spielzeug nicht bekommt. Wir sind nicht deine Marionetten, an denen du ziehen kannst, wie es dir gerade passt«, entgegnete Henrik.
Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie an. Die Armmuskeln waren angespannt und die Hände zu Fäusten geballt.
Nora blickte ihn bestürzt an. Vergeblich suchte sie nach einem Funken Verständnis in seinem Gesicht. Nach etwas, das an den Henrik erinnerte, den sie liebte.
An den Henrik, der ihr Mann war.
Er blickte auf seine Armbanduhr und erhob sich.
»Ich muss jetzt los, sonst komme ich zu spät.«
Nora blieb stumm. Es gab nichts zu sagen. Sie hasste den Gedanken, ihn im Streit gehen zu lassen, aber sie war im Moment kaum in der Lage, das Gespräch mit ihm fortzusetzen. Sie war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihrem Zorn nachzugeben und ihm hinterherzuschreien, dass er zur Hölle fahren solle, und dem Wissen, dass sie sich elend fühlen würde, wenn er jetzt einfach ging, ohne dass sie sich wieder vertragen hatten.
Die Vernunft siegte mit Mühe über den Zorn.
Sie biss sich so heftig auf die Lippe, dass sie Blut auf der Zunge schmeckte. Dann atmete sie tief durch.
»Du willst doch jetzt nicht einfach gehen?« Es war kaum mehr als ein Flüstern.
»Ich glaube nicht, dass wir im Moment viel weiter kommen. Und ich habe einen Termin einzuhalten«, sagte er mit kaum verhohlenem Ärger.
»Henrik.« Es klang wie ein Schluchzen. »Du musst bleiben, wir müssen das jetzt zu Ende bringen.«
Ihre Stimme zitterte vor Anstrengung, die Beherrschung zu wahren. Sie atmete noch einmal tief durch und drängte die aufsteigenden Tränen zurück. Es war auf einmal ungeheuer wichtig, nicht zu weinen.
Die Kluft zwischen ihnen war schwindelerregend. Unüberbrückbar.
Ein leerer Blick war alles, was sie als Antwort bekam.
Der Mann, den sie versprochen hatte, in guten wie in schweren Zeiten zu lieben, ging ins Haus hinein. Sie sah, wie er seinen Seesack und seine Schwimmweste nahm, die an einem Haken neben der Haustür hing. Als er wieder nach draußen kam, wechselte er demonstrativ das Thema, ohne ihr in die Augen zu sehen.
»Sag den Jungs gute Nacht von mir. Ich bin morgen gegen Mitternacht zurück, falls der Wind günstig steht.«
Er zögerte kaum merklich, sie registrierte die Worte erst, als er schon an ihr vorbei war.
»Ich habe keine Lust, noch weiter darüber zu reden. Für mich ist das Thema erledigt. Komm endlich zur Vernunft, Nora.«
Er öffnete das Gartentor und verließ das Grundstück mit schnellen, zielbewussten Schritten. Im Gehen zog er sich die Schwimmweste über. Der Seesack wippte im Takt seiner Schritte. Er blickte nicht zurück.
Nora stand im Garten und sah ihm nach. Die Tränen brannten ihr in den Augen. Sie wischte sie mit dem Handrücken weg.
Wären die Jungs nicht im selben Moment zurückgekommen, hätte sie haltlos geheult.
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Kapitel 63
Nora saß auf der Veranda. Sie hatte Adam und Simon zu Bett gebracht und versuchte nun zu verstehen, was eigentlich zwischen ihnen vorgefallen war. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie und Henrik sich zuletzt so gestritten hatten. Nicht einmal in den stressigsten Zeiten mit Säuglingen und durchwachten Nächten hatte sie sich in ihrer Ehe so unglücklich gefühlt.
Wie konnte etwas, das mit einer so
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