Tödlicher Mittsommer
Revengegrundet, waren angesprungen. In regelmäßigen Abständen blinkten ihre Lichter auf.
Rhythmisch wie ein pulsierendes Herz.
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Kapitel 74
Nora tastete nach ihrer Armbanduhr. Es war schwer, im Dunkeln die Zeiger zu erkennen. Sie meinte abzulesen, dass es nach halb eins war, aber sicher war sie sich nicht.
Sie versuchte, ganz ruhig zu atmen, um nicht in Panik zu geraten. Ihr Körper zitterte wie im Schüttelfrost, aber sie zwang sich, dem Schütteln nicht nachzugeben. Der einzige Mensch, der etwas an ihrer Situation ändern konnte, war sie selbst. Sie musste sich zusammenreißen, eine andere Möglichkeit gab es nicht.
Nach einer Weile beschloss sie, in die Laternenkuppel zu klettern, von dort aus hatte sie den besten Überblick. Vielleicht war ja einer der Inselbewohner zurückgekommen und konnte ihr helfen. Sie spähte angestrengt in die Dunkelheit hinaus, ob sich in einem der Häuser etwas regte.
Nichts. Kein Lebenszeichen, nirgends.
Wieso war ausgerechnet heute Abend niemand zu Hause? Es war so unfair!
Sie versuchte, den Abstand vom Söller zur Erde zu schätzen. Ob es wohl möglich wäre zu springen? Es mussten mindestens zwanzig, wenn nicht fünfundzwanzig Meter bis unten sein. Wenn sie es versuchte, würde sie sich wahrscheinlich auf den Steinen das Genick brechen.
Es musste doch möglich sein, auf irgendeine Art Signale zu geben. Irgendwo da draußen war bestimmt jemand, der die Signale bemerkte. Ganz sicher.
Nora durchsuchte ihre Jackentaschen. In der einen waren nur ein Paar Handschuhe. In der anderen fand sie ein Eispapier, eine Fünfkronenmünze, eine Kopfschmerztablette und ein Streichholzheft.
Streichhölzer.
Ob es hier etwas gab, was sie anzünden könnte, um auf diese Weise zu zeigen, wo sie war?
Langsam wurden ihre Arme und Beine schwer. Noch ein Zeichendafür, dass zu viel Insulin in ihrem Körper war. Sie versuchte, es zu ignorieren und sich auf die Aufgabe zu konzentrieren.
Das grüne Licht der Lampe in der Kuppel war ihr einziger Trost. Es war gespenstisch, vermittelte ihr aber trotzdem ein Gefühl von Geborgenheit. Eine Erinnerung an Leben. Die gläsernen Prismen schimmerten schwach durch das Leinentuch, das sie einhüllte.
Nora betrachtete den Stoff.
Leinen brannte. Und zwar schnell. Ob sie hier noch mehr Brennbares finden konnte? Sie versuchte angestrengt, sich zu erinnern, wie es im restlichen Teil des Turms ausgesehen hatte. Waren die Zwischentüren auf den Treppenabsätzen nicht mit Holzkeilen blockiert, damit sie nicht zufielen? Und hatten daneben nicht Hobelspäne gelegen?
Sie kletterte die Stiege wieder hinunter und tastete mit der rechten Hand an der Türkante entlang. Richtig, da war ein Holzkeil als Stopper. Unter der gusseisernen Stiege fand sie mehrere Brettabschnitte und einige Hobelspäne. Sie legte alles auf einen Haufen und ging hinunter zum nächsten Treppenabsatz. Auch hier entdeckte sie einen kleinen Holzklotz und daneben Hobelspäne und Holzsplitter. Vorsichtig tastete sie sich mit ihrem Fund zu dem toten Gang vor. Bingo. Hier lag ein ganzes Brett, wohl dreißig Zentimeter lang, jedenfalls fühlte es sich in der Dunkelheit so an. Das würde bestimmt eine ganze Weile brennen.
Aber mittlerweile war sie unglaublich müde. Ihre Glieder wurden immer schwerer. Kalter Schweiß lief ihr den Nacken hinunter.
Sie zog die Jacke aus, packte Holzstücke und Hobelspäne hinein und trug sie hinauf in die Laternenkuppel. Sorgfältig schichtete sie alles auf und legte das Leinentuch in die Mitte. Die Hobelspäne streute sie obenauf. Alle zehn Sekunden blinkte die grüne Lampe, aber das Licht reichte kaum aus, um zu sehen, was sie tat.
Erschöpft hob sie das ganze Paket oben auf die Laternenprismen. Dann tastete sie mühsam nach dem Abzugsventil am Boden. Die Angst vor einer Rauchvergiftung war bereits von der Gleichgültigkeit verdrängt worden, die den nahenden Insulinschock ankündigte, aber ein innerer Instinkt zwang sie dennoch, sich zu vergewissern, dass das Ventil offen war.
Sie konnte schon nicht mehr scharf sehen und musste heftig blinzeln, um die Nebel in ihrem Gesichtsfeld wegzuzwinkern. Ihr warbewusst, dass sie die Laternenkuppel verlassen musste, sobald das Holz zu brennen begann. Und dass sie sich so weit wie möglich von dem Feuer entfernen musste.
Mit zitternden Fingern riss sie ein Streichholz an. Im Schein der Flamme sah sie ihr eigenes Spiegelbild in den Glasscheiben der Kuppel.
Aufgerissene, ängstliche Augen starrten sie an. Ihr Gesicht war
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