Tödlicher Mittsommer
respektieren die Eigentumsrechte einfach nicht.«
Nora sah sie verwundert an.
»Das tut mir leid. Meinst du denn, es sind Leute aus Sandhamn?«
»Ich weiß genau, wer sie sind. Und um welche Familien es sich handelt.« Signe warf den Kopf in den Nacken. »Du kannst mir glauben, nach all den Jahren weiß ich sehr gut, wer seine Finger gerne in anderer Leute Honigtöpfe steckt.«
Ihre Stimme klang grimmig, als sie fortfuhr:
»Nimm zum Beispiel diesen Jonny Almhult. Ich will ja nicht schlecht über Tote reden, aber Vater und Sohn haben schamlos in meinen Fischgründen gewildert. Ich bin den beiden nicht nur einmal auf die Schliche gekommen.«
Nora sah sie fragend an.
»Woher weißt du, dass sie es waren? Hast du sie auf frischer Tat ertappt?«
»Das ist nicht nötig, wenn die Leute zu faul sind, ihre Netzhölzer abzumachen. Georg Almhults Fischernetze habe ich sogar mehrmals einbehalten.«
»Einbehalten?«
»Wusstest du das nicht? Wenn jemand in deinen Fischgründenwildert, hast du das Recht, sein Netz einzukassieren. So wird das schon seit alters her gehandhabt.«
»Als eine Art Bezahlung?«
»Ja, genau. So könnte man es wohl nennen.«
»Ach, deshalb hängen in deinem Schuppen Netzhölzer mit anderen Initialen als deine«, dachte Nora laut.
Signe runzelte die Stirn.
»Woher weißt du das?«
»Ich habe sie gesehen, als ich gestern in deinem Bootsschuppen war, um mir die Barschnetze von dir auszuleihen. Hast du schon vergessen? Die Jungs haben doch unsere eigenen Netze kaputt gemacht«, erinnerte Nora sie.
Sie überlegte einen Moment, dann sah sie Signe an.
»Aber warum hast du Thomas nichts davon gesagt, dass bei dir Netze von den Almhults hängen? Das hätte die Polizei bestimmt interessiert. Das Netz, in dem dieser Berggren angespült wurde, trug doch die Initialen G A.« Nora war ehrlich erstaunt.
Signe öffnete den Mund, machte ihn aber gleich wieder zu.
In der Ferne hörte man Möwen kreischen, ansonsten war es ganz still im Turm.
Urplötzlich begriff Nora.
»Das Netz, in dem Krister Berggren sich verheddert hat, gehörte gar nicht den Almhults. Das war deins«, sagte sie leise halb zu sich selbst. »Das war eins von den Netzen, die du ihnen abgenommen hast, als sie bei dir gewildert haben.«
Signe wandte den Blick ab. Dann nickte sie langsam.
»Genauso war es.«
»Aber warum hast du Thomas das denn nicht gesagt! Das ist doch wichtig für die Ermittlungen! Wir müssen ihn gleich anrufen, wenn wir zurück sind, und ihm die Sache erklären.«
Signe antwortete nicht, und Nora versuchte, ihren Worten die Schärfe zu nehmen.
»Es war ja ein Unfall. Du hast nichts mit seinem Tod zu tun. Keiner kann dir anlasten, dass der Mann sich in deinem Netz verfangen hat. Das siehst du doch wohl ein?«
Signe stand regungslos an der Treppe, ohne ein Wort zu sagen.
»Signe?«
Die Frage echote durch den Leuchtturm.
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Kapitel 72
Stille breitete sich aus und hüllte Nora und Signe ein. Eine schreckliche Stille, die sie beide lähmte.
In Signes blassem Gesicht erkannte Nora eine Wahrheit, so unfassbar, dass ihr der Atem stockte.
Schockiert wich sie einen Schritt zurück und sank auf die Treppenstufe vor der Tür zum Söller. Es gelang ihr kaum, die Worte hervorzubringen.
»Aber es war doch ein Unglück, Tante Signe?«
In ihrer Verwirrung fiel sie in die Anrede ihrer Kindheit zu-rück.
Signe schüttelte stumm den Kopf. Ihr Gesicht war zu einer unergründlichen Maske erstarrt, in der sich nur die schmalen Lippen bewegten. Ihre Stimme war messerscharf.
»Krister Berggren ist ertrunken, weil ich es so wollte.«
»Aber warum denn? Was hatte er dir getan? Du kanntest ihn doch wohl nicht mal?«
Signes Blick war unversöhnlich, als sie antwortete.
»Krister Berggren war Helges unehelicher Sohn.«
Nora starrte sie an.
»Ihr wart verwandt? Du hast also deinen Neffen getötet?«
Die alte Frau nickte.
»Aber er wusste nichts von unserer Verwandtschaft, bis seine Mutter starb. Da hat er es erfahren und beschlossen, mich aufzusuchen und die Brand’sche Villa als Erbe seines Vaters zu fordern.«
Signes Stimme war kälter, als Nora es je gehört hatte. Es klang, als spräche sie von einer Fremden.
»Ich hätte mein Zuhause verlassen müssen, Nora. Er wollte mich zwingen, das Haus zu verkaufen, damit er an sein Geld kommt. Ich hätte nicht so viel gehabt, um ihn auszuzahlen.«
Sie ballte zornig die Fäuste.
»Ich hatte nicht vor, ihn umzubringen. Aber es war die einzige Lösung. Wenn er tot wäre,
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