Tödlicher Mittsommer
bewegen, wenn es nicht absolut notwendig war. Was bedeutete: Befehl vom Vorstand oder von Gott.
In dieser Reihenfolge.
Irgendwo in ihrem Kopf hörte sie eine kleine Stimme fragen, was sie eigentlich antrieb. Warum sie nicht mit dem zufrieden war, was sie hatte. Ihr Leben genoss, das ihr die Möglichkeit bot, eine angenehme Arbeit mit einem erfüllten Familienleben zu vereinbaren. Eine glückliche Ehe, prächtige Kinder und dazu noch Geld genug, um sich ein Haus auf Sandhamn leisten können.
Warum das alles riskieren? Warum Henrik herausfordern, statt seine deutlich ablehnenden Signale zu respektieren?
Sie nahm die Thermoskanne mit kaltem Saft aus der Strandtasche, um sie in den Schatten zu stellen. In dem glänzenden Chrommantel spiegelte sich ihr Gesicht, und sie sah Ratlosigkeit und Unruhe darin. Eine Unsicherheit, worauf sie zusteuerten, sie und Henrik.
Plötzlich entschied sie sich, die ganze Sache abzublasen. Es würde nur zu einem Riss in ihrer Ehe führen. Kein neuer Job war das wert. Kein Chef war so unmöglich, dass man nicht die Zähne zusammenbeißen und ihn ertragen konnte. Besser, sie blieb, wo sie war, statt etwas in Gang zu setzen, von dem sie nicht wusste, wohin es führen würde. Das Ganze war idiotisch, ein übermütiger Einfall. Wie konnte sie auch nur daran denken, hinter Henriks Rücken heimlich in die Stadt zu fahren?
Entschlossen nahm sie ihr Handy aus der Tasche und wählte Rutger Sandelins Nummer, um ihm zu sagen, dass sie nicht kommen würde. Dass sie es sich anders überlegt hatte. Er konnte dem Personaldirektor Bescheid sagen, dass sie nicht mehr interessiert war.
Der Anschluss war besetzt.
Sie wartete eine Weile mit dem Telefon in der Hand. Dann drücktesie auf Wahlwiederholung. Immer noch besetzt. Da meldeten sich leise Zweifel.
Was konnte es schaden, sich mit ihm zu treffen? Sie hatte noch nie mit einem Personalvermittler zu tun gehabt und war neugierig. Außerdem wollte sie ja nur mal hören, was er ihr anzubieten hatte, bevor sie das Thema erneut mit Henrik diskutierte. Und wenn nichts dabei herauskam, war sie zumindest um eine Erfahrung reicher.
Nora verwünschte sich selbst. Was fiel ihr eigentlich ein, einfach anzurufen und abzusagen, bevor sie Sandelin überhaupt getroffen hatte. Das war doch pure Dummheit. Natürlich würde Henrik ihr beipflichten, dass sie wenigstens hinfahren sollte, bevor sie eine Entscheidung traf.
Langsam legte sie das Handy zurück in die Strandtasche. Ein einziges Treffen. Was konnte das schon schaden?
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Kapitel 31
Die Sonne brannte herab, obwohl es kaum elf Uhr war. Sogar das Kreischen der Möwen klang in der Hitze matter als sonst. Die Jungs hatten alle Eimer und Schäufelchen um sich herum verteilt und waren darin vertieft, am Wasser eine Ritterburg zu bauen.
Nora hatte sich so hingesetzt, dass sie die beiden im Blick hatte, während sie in ihrem Buch las.
Es war von einem englischen Autor und handelte davon, wie man sein Leben als Vollzeitberufstätige mit seinen Pflichten als Mutter unter einen Hut bringen konnte. Sie war ganz versunken in ein amüsantes Kapitel, das beschrieb, wie eine Mutter eines späten Abends entdeckte, dass ihre Tochter am nächsten Tag Kuchen für eine Wohltätigkeitsveranstaltung in die Schule mitbringen sollte. Die verzweifelte Mutter kaufte daraufhin abgepackte Hefewecken und rollte sie mit dem Nudelholz platt, damit sie wie selbst gebacken aussahen.
Nora verstand genau, wie sie sich gefühlt haben musste.
Sie rekelte sich in der Sonne und genoss die Wärme. Dann schob sie den Sand unter dem Badelaken so zusammen, dass er ihr als Nackenstütze diente. In den Frotteefalten hatten sich schon kleine Haufen von feinkörnigem Sand angesammelt, obwohl sie erst kurze Zeit hier war.
Simon kam quengelnd mit hoch erhobenem Eimerchen angestapft.
»Kannst du nicht an unserer Burg mitbauen?«
Er schlang seine sandigen Arme um ihren Hals und sah sie bettelnd an. Nora lachte und drückte ihm einen Schmatz auf die Stirn.
»Na klar, kann ich«, erwiderte sie.
Sie legte das Buch weg, griff sich einen Eimer samt Schaufel und stand auf, wobei sie prüfte, ob der Bikini auch richtig saß. Als sie zum Wasser hinunterging, ließ sie automatisch den Blick übers Meer schweifen. In einiger Entfernung bemerkte sie einen seltsamen Umriss, einen dunklen, rechteckigen Klumpen, der steif auf den Wellen schaukelte. Es sah aus wie ein alter, verrotteter Balken.
Irgendetwas daran stimmte nicht.
»Wartet mal kurz, ich will nur
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