Tödlicher Mittsommer
den schönsten Sandstränden im ganzen Schärengarten. Nicht umsonst hieß die Insel eigentlich Sandö, obwohl die meisten Leute sie inzwischen nur noch Sandhamn nannten. Es war eine der wenigen Inseln im Stockholmer Schärengarten, die nicht hauptsächlich aus Klippen, sondern aus Sand bestand.
Kaum waren sie aufgewacht, hatten beide Jungs gebettelt, an den Strand zu dürfen. Adam hatte gefragt, ob sie die Schwimmschule nicht ausfallen lassen könnten, nur diesen einen Tag, und Nora hatte sich erweichen lassen. Ein einziges Mal in drei Wochen war wohl nicht so schlimm. Außerdem war das Wasser ungewöhnlich warm, gut zweiundzwanzig Grad. Es passierte nicht oft, dass man am Außenrand des Schärengartens solche Badetemperaturen hatte.
Als das Frühstück verputzt und der Tisch abgeräumt war, hatte Nora die Strandtasche geholt und Schwimmsachen und Badelaken eingepackt. Simon suchte alles an bunten Plastikeimern und – schäufelchen zusammen, was er finden konnte. Dann hatten sie ihre Räder genommen und waren über die Sandfelder gefahren, vorbei am Tennisplatz und durch den Wald, bis sie Trouville erreichten.
Adam beschwerte sich, dass sie zu langsam fuhren, aber Simon trat schon in die Pedale, so schnell seine kurzen Beine es vermochten. Nora brachte es nicht übers Herz, ihm zu sagen, er solle sich beeilen.
Nach zwei Kilometern endete der Trouvillevägen an einer Kreuzung, und dort bogen sie nach rechts ab. Dann brauchten sie nur noch ein paar hundert Meter zu radeln, bevor sie am Strand waren.
Es war immer noch früh am Vormittag, deshalb waren die Tagesbesucher aus Stockholm noch nicht da. Wenn erst die Elf-Uhr-Fähre angekommen war, wurde es immer schnell voll. Aber es war erst kurz nach zehn, deshalb konnten sie sich den besten Platz aussuchen.
Nora missgönnte es den Touristen durchaus nicht, sich im Schärengarten zu amüsieren, aber sie konnte sich trotzdem den Gedanken nicht verkneifen, wie viel schöner es damals in ihrer Kindheit war, als der Besucherstrom einem kleinen Rinnsal glich, gemessen an der heutigen Menschenflut.
Man konnte fast meinen, die Insel müsste versinken, wenn man all die Leute sah, die im Juli von den Schiffen an Land strömten.
Henrik war spät nach Hause gekommen und schon früh wieder aufgebrochen. Er war den ganzen Tag auf der Regattastrecke. Sie hatte versucht, das Thema noch mal auf den Job in Malmö zu bringen, aber er hatte deutlich zu verstehen gegeben, dass er keine Lust hatte, darüber zu reden.
Die Personalagentur hatte sie angerufen, genau wie der Personalchef der Bank gesagt hatte. Sie hatten ausgemacht, dass Nora nächste Woche für ein Bewerbungsgespräch nach Stockholm kommen sollte. Nora war sehr daran interessiert, mehr über den neuen Job zu erfahren, aber ein Bewerbungsgespräch setzte voraus, dass sie und Henrik sich einig darüber waren, das Thema wenigstens zu diskutieren.
Während sie Sonnenmilch und Sonnenbrille hervorkramte, liefen ihr die Gedanken davon, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Warum nicht einfach in die Stadt fahren und den Personalberater treffen, diesen Rutger Sandelin? Einfach so, ohne jede Verpflichtung.
Das konnte doch nicht so schlimm sein?
Es war ja wohl nicht viel anders als ein x-beliebiges Mitarbeitergespräch, auch wenn es nicht im Büro stattfand. Wenn sie den Termin nicht wahrnahm, würde die Personalabteilung doch glauben, sie wäre nicht mehr ganz normal. Bekommt einen wahnsinnig spannenden Job angeboten und rührt nicht mal den kleinen Finger.
Nora verteilte großzügig Sonnenmilch auf Schultern und Armen und rieb sich mit einer Heftigkeit ein, als gälte es das Leben und nicht nur, einen Sonnenbrand zu vermeiden.
Sie atmete tief durch und beschloss, wenigstens in Erfahrung zu bringen, was das für eine Arbeit war, die man ihr anbot. Die Jungs konnte sie tagsüber sicher bei ihren Eltern lassen. Das Gespräch mitHenrik hatte auch noch bis später Zeit, wenn sie etwas Konkretes wusste. Im Moment hatte sie ja nur lose Anhaltspunkte. Nichts, wozu man Stellung nehmen konnte.
Am besten sagte sie einfach, sie müsse für einen Vormittag ins Büro. Es wäre nicht das erste Mal, dass man sie für eine dringende Sache aus dem Urlaub holte. Da sie nicht mehr als zwei Stunden bis in die Stadt brauchte, konnte sie im Notfall schnell mal einspringen.
Das fand jedenfalls ihr elender Chef, der sich mit seiner Familie für den ganzen Sommer nach Gotland verkrümelte und gar nicht daran dachte, seinen Hintern ins Büro zu
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