Tödlicher Puppenzauber
wunderte mich nicht mehr. Mochten arabische Killer auch noch so brutal und gnadenlos sein, vor gewissen Dingen hatten sie einen großen Respekt. Zudem besaßen sie eine andere Mentalität. In ihrem Leben hatten stets gewisse Dinge eine Rolle gespielt, die tief im Mystischen verborgen lagen. Aus diesem Grunde hatte Bing wohl auch die Macht über Menschen wie diese Killer bekommen.
Über dem Glasdach befand sich jetzt nur der weite Himmel. Ein gestrecktes Band oberhalb der Millionenstadt an der Themse. Er war dunkel geworden, zeigte ein tiefes Grau, dazwischen hellere Wolkenbänder, die an einigen Stellen von blitzenden Sternen eingerahmt wurden. Der zunehmende Mond wirkte wie ein schwaches Abziehbild. Wir alle warteten. Nur Bing wußte genau Bescheid, was sich ereignen würde.
Er drehte seine Kreise, schaute hin und wieder hoch, ging weiter, sah wieder in die Höhe — und blieb stehen.
»Jetzt!« flüsterte er.
Ich hatte noch nichts entdecken können. Nach wie vor kam mir die Fläche über den Scheiben leer und verlassen vor. Das änderte sich, als ich plötzlich die flatterhafte Bewegung sah. Nicht mehr als ein Schatten, doch dieser Schatten schwebte zitternd über dem Glas und bekam noch Verstärkung.
Er verdreifachte sich. Zielsicher fanden die Schatten die Eingänge und huschten hindurch.
Dann erkannte ich sie. Eigentlich hätte ich schon vorher wissen müssen, um was es sich handelte.
Es waren bunte Schmetterlinge. Ich erinnerte mich daran, daß ich einen von ihnen im Zimmer des getöteten Sir Harold gesehen hatte. Sie mußten ebenfalls eine Bedeutung haben.
Die Schmetterlinge umflatterten den Kopf des wartenden Mr. Bing, der die Arme hob und die Hände zu einer Schale formte, die bereit war, die Schmetterlinge aufzufangen. Sie gehorchten auf der Stelle. Der Reihe nach flogen sie tief in die Schale hinein und setzten sich dort nieder. Vorsichtig klappte Bing seine Hände zu. Er sprach in unsere Richtung. »Sind es nicht die wunderbarsten Geschöpfe der Welt. So zart, so fragil und doch so ungemein widerstandsfähig. Ich liebe die Schmetterlinge, ich habe sie von meinem alten Meister übernommen, der sie züchtete. Früher haben sie allein ihm gehorcht, heute hören sie auf meine gedanklichen Befehle.« Er öffnete die Hände wieder und ließ die Tiere frei. Sofort flogen sie hoch und suchten sich auf seinen Schultern einen neuen Landeplatz aus. Wo sie waren, konnte man auch mit den Killerpuppen rechnen. Ich hatte mich nicht getäuscht. In die Stille hinein vernahmen wir die pochenden und kratzenden Laute, die entstanden, als die Puppen über das Glas des Dachs krochen oder gingen.
Ich zählte sie und hörte bei vier auf, denn sie kamen tatsächlich von allen Seiten.
Mr. Bing freute sich wie ein Kind. »Ja!« rief er ihnen entgegen. »Ja, kommt her zu mir. Ich habe auf euch gewartet, meine Brüder.« Dann drehte er sich scharf um, starrte mich an.
Selbst auf die Entfernung hin entdeckte ich das böse Leuchten in seinen starren Pupillen. »Du, Sinclair, wirst das erste Opfer werden. Glaube mir, ihre Rache wird mörderisch sein…«
Suko fuhr durch London und hielt die Augen mehr als offen. Nicht daß er sonst mit geschlossenen gefahren wäre, aber auch er hielt Ausschau nach einem bestimmten Wagen.
Zwei Rolls-Royce begegneten ihm. In einem hockte nur ein Chauffeur in seiner grauen Uniform. Im anderen zwei mit Pelzen und Schmuck behangene alte Schachteln, die sich von einem weißhaarigen Herrn fahren ließen.
Nein, die hatten mit der Schießerei nichts zu tun. Suko rollte weiter.
Er hatte sich die Nummer gemerkt, rief bei einem Ampelstop wieder an und bekam abermals keine Verbindung.
Seine Befürchtungen wuchsen. Die Gegenseite war über vieles informiert. Er mußte damit rechnen, daß John ebenso in eine Falle gelockt worden war wie er. Nur hatte es Suko geschafft, sich zu befreien. Er war zudem allein gewesen, während John sich noch um Jessica Long kümmern mußte, was sich als störend oder als Hindernis herausstellen konnte.
Jessica Long lebte im Westen der Stadt. Eine gute Adresse, wo sich Künstler, Designer und solche, die sich dafür hielten, wohl fühlten. Die Mieten waren teuer, die Wohnungen oft zu klein, doch es gab auch ausgefallene Stücke, in den obersten Preisklassen, versteht sich. Suko wollte nicht auffallen. Deshalb nahm ersieh vor, seinen BMW nicht vor dem Haus zu parken, sondern ein Stück entfernt, falls er eine Lücke fand. Den Rest der Strecke ging er lieber zu
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