Tödlicher Ruhm
nieder.
»Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin Chief Inspector Coleridge von der East Sussex Police, und ich bin gekommen, um den Mord an Kelly Simpson aus der verträumten kleinen Gemeinde Stoke Newington in London aufzuklären.« Er hatte keine Ahnung, woher das mit der »verträumten Gemeinde« gekommen war, außer dass er diese Geschichte um jeden Preis so weit wie möglich ausbauen musste.
Nachdem die Aufregung über seine einleitenden Worte abgeklungen war, drehte sich Coleridge um und wandte sich an die acht ehemaligen Hausbewohner, die sich auf dem Podium bei Chloe versammelt hatten. Die acht Leute, deren Gesichter er sich so lange angesehen hatte. Die Verdächtigen.
»Es war kein leichter Fall. Auf der ganzen Welt haben die Menschen Theorien entwickelt, und Motive gab es reichlich. Ein Umstand, der bei meinen Beamten und mir im Laufe der vergangenen Wochen einige Verwirrung gestiftet hat. Doch die Identität dieses grausamen Mörders, dieses verabscheuungswürdigen Individuums, das einem hübschen, unschuldigen jungen Mädchen ein Messer in den Schädel gerammt hat, blieb dennoch ein Mysterium.«
Etwas sehr Seltsames geschah mit Coleridge. Es war ein neues Gefühl, wenn auch kein unangenehmes. Konnte es sein, dass er Spaß daran hatte? Vielleicht nicht ganz. Die Anspannung und die Gefahr eines Fehlschlags waren zu groß, als dass es ihm Vergnügen bereitet hätte, aber zumindest war er bester Dinge. Hätte er einen Augenblick Zeit zum Nachdenken gehabt, wäre Coleridge aufgefallen, dass die Umstände ihm gewährt hatten, wonach er sich am meisten sehnte und was ihm seine Amateurtheatergruppe so lange schon verwehrte: Publikum und eine Hauptrolle.
»Also«, sagte Coleridge und sprach in die Kamera, auf der das rote Licht leuchtete, da er zu Recht vermutete, dass dies die richtige war. »Wer hat Kelly Simpson ermordet? Nun, angesichts des überwältigenden Argwohns, von dem verschiedene Unschuldige heimgesucht wurden, halte ich es nur für fair, zuerst zu klären, wer Kelly Simpson definitiv nicht ermordet hat.«
»Der Typ ist ein Naturtalent«, flüsterte Geraldine dem Aufnahmeleiter zu. Sie war mächtig beeindruckt von dieser neuen Seite an Coleridge, und das konnte sie auch sein, denn mit jeder Minute, die er sprach, brachte er ihr weitere zwei Millionen Dollar ein.
Bau es aus, bau es aus, dachte Coleridge — ein Vorsatz, dem Geraldine von ganzem Herzen zugestimmt hätte.
»Sally!«, sagte Coleridge und wandte sich mit großer Geste den acht Verdächtigen zu. »Sie wurden Opfer eines tragischen Zufalls. Das Leid Ihrer armen Mutter, von dem Sie gehofft hatten, es würde Ihre Privatsache bleiben, wurde bekannt. Sie waren in Sorge, dass der Fluch, der das Leben Ihrer Mutter zerstört hat, auch das Ihre zerstört haben könnte. Sie haben sich mit der Frage gequält: Habe ich Kelly ermordet? Hat die Finsternis der dunklen Kiste meine wahre Persönlichkeit ans Licht gebracht?«
Sally antwortete nicht, sondern starrte ins Leere. Sie dachte an ihre Mutter, die in diesem schrecklichen kleinen Zimmer saß, in dem sie praktisch die ganzen letzten zwanzig Jahre verbracht hatte.
»Ich will Ihnen versichern, Sally, dass ich Sie nicht einen einzigen Augenblick für die Mörderin gehalten habe. Sie hatten, von Ihrer Familiengeschichte abgesehen, nicht den Hauch eines Motivs, und ein so großer Zufall, dass sich diese Geschichte auf genau dieselbe Art und Weise wiederholt, ist so unwahrscheinlich, dass er sich praktisch ausschließen lässt. In vielen Familien gibt es Geisteskrankheiten... Nun, die Produzentin dieser Sendung könnte das bestätigen, habe ich Recht, Miss Hennessy?«
»Bitte?«, sagte Geraldine. Sie amüsierte sich königlich über Coleridges Vorstellung, hatte aber nicht erwartet, mit hineingezogen zu werden.
»Ich schließe aus den Gesprächen, die meine Leute mit Ihrem Personal geführt haben, dass Sie bei zwei Gelegenheiten, bei denen sich sowohl Sally als auch Moon über das Leben in Nervenheilanstalten äußerten, sehr deutlich gemacht haben, dass es ganz und gar nicht so sei. In Wahrheit haben Sie sogar deutlich erklärt, wie es ist. Kann man daraus nicht schließen, dass Sie selbst damit Erfahrung haben?« Wieder warf Coleridge einen Blick zur Studiotür. Nichts zu sehen. Bau es aus.
»Nun, zufällig haben Sie Recht«, sagte Geraldine in das Galgenmikro, das eilig über ihr herabgelassen worden war. »Meine Mum hatte auch einen kleinen Sprung in der Schüssel, Sally, und mein
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