Tödlicher Ruhm
Zeit. Nach den Regeln des Universums als Ganzes liebst du mich also im Grunde deines Herzens.«
»Das tu ich bestimmt nicht«, sagte Jazz.
»Doch, tust du«, erwiderte Woggle.
»Das tu ich bestimmt nicht!«, sagte Jazz.
»Tust du wohl«, erwiderte Woggle — er gab nie auf.
5. Tag 9:00 Uhr
Dervla schob das Seifenstück unter ihr T-Shirt und wusch ihre Achseln. Langsam gewöhnte sie sich daran, in Unterwäsche zu duschen. Am ersten Morgen war es sehr unbequem gewesen, und sie hatte sich etwas albern gefühlt, als wäre sie auf Klassenfahrt und wollte sich nur unter der Decke ausziehen. Die Alternative allerdings hieß, sich Millionen Zuschauern nackt zu präsentieren. Und danach stand Dervla der Sinn nun wirklich nicht. Sie hatte genug Reality-TV gesehen, um zu wissen, was die Produzenten am liebsten wollten, und deshalb achtete sie sorgsam auf jede ihrer Bewegungen. Es konnte ausgesprochen schnell passieren, dass sie versehentlich ihr Unterhemd hochzog und ihre Brüste preisgab, und sie wusste, dass ein Kameramann hinter den Spiegeln in der Duschkabine zusah und darauf wartete, dass sie genau das tat. Nur ein ultrakurzer Blick war nötig, und schon kursierten ihre Titten bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag irgendwo im Internet.
Nach dem Duschen putzte sich Dervla die Zähne, wobei ihr die Buchstaben am Spiegel auffielen. Einen Moment lang glaubte sie, derjenige, der vor ihr geduscht hatte, hätte sie auf das beschlagene Glas gemalt, doch als immer mehr auftauchten, stellte sie erfreut fest, dass jemand auf der anderen Seite diese Buchstaben schrieb.
Dervla war zwar erst vier Tage eingesperrt, doch schon jetzt kam es ihr vor, als wären sie und ihre Mitbewohner die einzigen Menschen auf der Welt. Als wäre nur ihre abgeschlossene kleine Blase von dieser Welt noch übrig. Es war ein Schock, daran erinnert zu werden, dass dem nicht so war. Dass draußen — jenseits des Spiegels, nur Zentimeter entfernt, wenn auch in einer anderen Welt — ihr jemand etwas zu sagen versuchte.
»Schschscht!«
Das war das erste Wort, das dort stand. Das geschrieben wurde, während Dervla zusah. Buchstabe für Buchstabe durch Dampf und beschlagenes Glas, ganz am unteren Rand des Spiegels, gleich oberhalb der Wasserhähne.
»Nicht starren«, kam dann, und Dervla merkte, dass sie mit aufgerissenen Augen dastand, die Zahnbürste noch immer im Mund. Eilig wandte sie den Blick ab, betrachtete ihr Spiegelbild, wie man es von jemandem erwartete, der sich die Zähne putzte.
Einen Moment später glitt er wieder abwärts.
»Ich mag dich«, sagten die Worte. »Ich kann dir helfen. Bis bald.«
Es folgte eine Pause, dann folgten die letzten Buchstaben des anonymen Schreibers. »XXX.«
Hastig putzte Dervla ihre Zähne zu Ende, legte sich ein Handtuch um die Schultern, streifte ihre nasse Unterhose und das Hemd ab, zog sich so schnell wie möglich wieder an und ging nach draußen, um sich in den Gemüsegarten zu setzen. Sie musste nachdenken. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie ärgerlich oder aufgeregt sein sollte. Vermutlich beides. Wütend, weil der Mann (sie war sich ziemlich sicher, dass es ein Mann sein musste) ihr offensichtlich seine ganz besondere Aufmerksamkeit widmete. Er hatte sie beobachtet, und jetzt wollte er die Macht, die er über sie hatte, dazu missbrauchen, sie zu bedrängen. Sie fühlte sich unbehaglich. Was waren seine Motive? Fühlte er sich von ihr angezogen? Stellte er ihr nach? Welchen Grund konnte er sonst haben, seinen Job auf diese Weise zu riskieren? Aber andererseits... war es vielleicht nur ein Scherz? War der Typ vielleicht ein Spinner, der seinen Spaß daran hatte, Peeping Tom zu ärgern? Dervla war sich sehr wohl darüber im Klaren, dass die Medien erheblich lieber Skandale und üble Tricks als aufrichtige Beziehungen in diesem Haus sahen. Die schlimmsten Bewohner bekamen immer die ganze Publicity. Sollte es diesem geheimnisvollen Briefschreiber gelingen, mit ihr in Dialog zu treten, wäre dies zweifellos mehr wert, als ein Kameramann im Monat verdienen konnte.
Das war doch ein Gedanke. Vielleicht stand er längst auf der Gehaltsliste einer Tageszeitung. Ständig versuchte die Presse, Flugblätter und Fallschirmspringer und Drachenflieger abzuwerfen. Bestimmt waren sie auch schon auf die Idee gekommen, einen Kameramann zu bestechen. Dann kam ihr ein anderer Gedanke: Vielleicht war dieser Mensch gar kein Freund, sondern ein Spitzel! Der sie in Versuchung führen wollte, die Regeln zu übertreten! War es
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