Tödlicher Staub
du tust, nachstarrt. Er frißt dich mit Blicken auf.«
»Das tun die anderen auch, Louise.« Natalja lachte leise. »Männer! Ein schöner Busen und schlanke Beine, und schon rollen sie mit den Augen. Das kommt bei mir nicht an.«
»Ducoux ist keiner, der den Frauen nachjagt.«
»Er sieht auch nicht wie ein Jäger aus …«
»Seit drei Jahren ist er Mitglied des Zirkels … aber er hat noch keines meiner Mädchen aufs Zimmer mitgenommen. Und die anderen Damen, diese gelangweilten Ehefrauen, die ihre Vernachlässigung hier vergessen wollen, die haben ihn nie interessiert.«
»Und warum ist er dann im ›Roten Salon‹?«
»Er flüchtet.«
»Flüchtet? Wovor?«
»Vor seiner Frau. Ducoux ist seit zweiundzwanzig Jahren verheiratet. Ein fataler Irrtum von ihm. Er hat es mir mal gebeichtet: Er war damals ein kleiner Beamter gewesen, ein Kriminalassistent. Verdiente so viel, daß er sich ab und zu an der Place Pigalle in ein Café setzen und sich einen Pastis gönnen konnte. Bei einem Opernbesuch, man spielte ausgerechnet den ›Liebestrank‹ von Donizetti, lernte er in der Pause Beatrice kennen, als er sich am Buffet ein Wurstbrötchen und ein Glas Landwein holte. Weiß der Teufel, welchen Narren Beatrice Monnier, genannt Bébé, an dem kleinen Beamten gefressen hat … von da an trafen sie sich öfter. Du mußt wissen, die Monniers sind Millionäre. Ein Schloß an der Loire, eine ganze Etage am Boulevard Haussmann, ein Landhaus bei Saint-Tropez … Monnier ist der Federnkönig von Frankreich. Von der kleinsten Uhrfeder bis zur gewaltigen Eisenbahnfeder. Monnier stellt alles her, was federt. Sein Reichtum ist sagenhaft. Und seine Tochter Bébé krallt sich ausgerechnet den kleinen Ducoux. Sie heiraten, der Vater kauft ihnen eine ganze Etage im schönsten Arrondissement … und dann ging es los. Bébé befahl: Du bindest diese Krawatte um, du ziehst diesen Anzug an, du nimmst dieses Hemd, hier sind deine Schuhe, kämm deine Haare aus der Stirn, Sonntag fahren wir in die Normandie, nimm die Hummerschere richtig in die Hand, kratz nicht auf dem Teller herum, wisch dir den Mund ab, sitz gerade am Tisch, faß das Weinglas am Stiel an, paß auf, daß deine Krawatte nicht in die Suppe hängt, scharre nicht immer mit den Füßen, dusch dich, bevor du ins Bett kommst, was, du bist schon fertig, ich noch nicht, ein Egoist bist du, hast dein Vergnügen und denkst nicht an mich, wir fliegen morgen an die Riviera, melde dich für vier Tage krank, wer bist du denn, ein beamteter Hinternlecker, was du bist, bist du nur durch mich, hör endlich auf mit dem Polizeikram … So ging das jahrelang. Wie Ducoux das alles geschluckt und ausgehalten hat, ist ein Wunder an Selbstbeherrschung. Hätte er Beatrice umgebracht, jeder Richter hätte ihn freigesprochen! Aber Ducoux erwürgte seine Bébé nicht … er suchte sein Glück in der Flucht. Zuerst floh er in seine Dienststelle, wo er ein Bett aufschlug, später nahm er einen Posten als Oberkommissar in Lyon an, wohin ihm Beatrice natürlich nicht folgte … das wurden seine glücklichsten und fröhlichsten Jahre. Aber dann ernannte man ihn zum Chef der Sonderabteilung V der Sûreté, und er mußte zurück nach Paris. Bébé triumphierte. Das alte Spiel begann von neuem, und es half nichts, daß Ducoux entdeckte, daß sich Beatrice während seiner Lyoner Zeit mit jungen Männer vergnügt hatte, mit Italienern und Algeriern. Aber Scheidung! Nein! ›Eine Monnier läßt sich nicht scheiden!« brüllte ihn der Schwiegervater an. ›Auch wenn du jetzt ein hohes Tier bei der Geheimpolizei bist … für mich bist du immer noch ein kleiner Hosenscheißer!‹ Und so sah Ducoux keinen anderen Ausweg, als zu mir zu kommen. Im ›Roten Salon‹ fühlte er sich endlich wohl, saß in einer auserwählten Gesellschaft, konnte anspruchsvolle Gespräche führen und ist nun dabei, sich in dich zu verlieben! Natalja, genaugenommen ist Ducoux ein armer, herumirrender Hund, der Liebe und Geborgenheit sucht.«
»Ich kann ihm beides nicht geben, Louise.« Natalja blickte hinüber zu Ducoux, der sich mit einem Literaturprofessor unterhielt. Schriftsteller Carbouche zitierte noch immer aus eigenen Werken, obgleich ihm keiner zuhörte. Er berauschte sich an seinen eigenen Worten, als habe er Haschisch geraucht.
»Wegen deines russischen Freundes?«
»Auch …«
»Aber du liebst ihn doch nicht!«
»Ich könnte auch Ducoux nicht lieben. Nie! Nie! Ich liebe niemanden.«
»Das weiß ich.« Madame de
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