Tödlicher Staub
… wilder Applaus erfüllte den ›Roten Salon‹, und Ducoux stürzte auf Natalja zu. Ein neuerlicher Sieg für Frankreich, denn er war schneller als Awjilah. Begeistert küßte er Natalja die Hand, und dabei spürte sie sein Zittern.
»Ich habe Rußland gesehen!« rief Ducoux enthusiastisch. »Ich habe die Augen geschlossen und alles verstanden! Natalja, Sie sind eine ganz große Künstlerin! Das haben Sie uns bis heute vorenthalten. Alle anderen Sängerinnen sind Spatzen gegen Ihre Nachtigallenstimme! Gestehen Sie, Sie gehören zu den großen Sängerinnen Rußlands!«
»Ein kleines Geheimnis muß jede Frau haben.« Natalja sagte es so kokett, daß Ducoux' Herz einen Satz machte. »Ihre Seele gehört nur ihr allein. Es gibt ein böses, aber wahres russisches Sprichwort: Meinen Körper kannst du besitzen, nicht meine Seele.«
»Nach diesem Körper sehne ich mich«, sagte Ducoux mutig. »Natalja, Sie sind wundervoll.«
Nun war auch Awjilah näher getreten. Da Ducoux bereits ihre Hand geküßt hatte, verzichtete er darauf und begnügte sich damit, erneut zu applaudieren. Nicht laut, sondern diskret, leise.
»Sie überraschen uns immer wieder, Madame Natalja«, sagte Awjilah mit dem Charme des Orientalen. »Welche verborgenen Talente besitzen Sie sonst noch?«
»Da sie verborgen sind, erwarten Sie doch wohl keine Antwort?« Nataljas Blick enthielt ein aufreizendes Flimmern. »Vielleicht – ich sage vielleicht! – erfahren Sie noch mehr von meinen Begabungen … später … irgendwann …«
»Ich warte.« Awjilahs Lächeln irritierte Natalja. Ein hintergründiges Lächeln, das ihr schon öfter bei ihm aufgefallen war. »Wir haben in unserem Land einen anderen Zeitbegriff als in Europa. Wir sagen: Bis aus einem Samen eine Blume entsteht, gehen viele Monde dahin … warum sollte sich ein Wunsch schneller erfüllen?«
»Ein guter Spruch, Anwar. Bei uns in Rußland sagen wir einfach. ›Skoro budet‹.«
»Und was heißt das?«
»Es wird bald … oder: Irgendwann einmal …«
»Ich werde es mir merken, Natalja Petrowna. Skoro budet …« Awjilah verbeugte sich leicht. »Ich werde Sie in Zukunft immer so begrüßen: Skoro budet …«
»Ich mag ihn nicht«, sagte Ducoux zähneknirschend, als Awjilah sich entfernt hatte und am Buffet eine Hirschpastete holte. »Wir sind Freunde, gewiß, aber irgendwie ist eine gläserne Wand zwischen uns. Ich kann es nicht erklären. Oder doch? Er ist mir zu glatt. Außerdem ist er Iraner … und wir wissen, daß der Iran alles daran setzt, die Atombombe zu bauen. Ich habe den Verdacht, daß über Awjilah eine Schiene des Atomhandels läuft, nur beweisen kann ich es nicht.«
»Möglich wäre es.« Natalja spürte ihren Herzschlag. Der erste Schritt zu konkreten Informationen war getan. Ducoux, bereits in Nataljas Fängen, begann, ihr gegenüber seinem Herzen Luft zu machen. Es war die typisch männliche Eigenart, einer geliebten Frau seine geheimen Sorgen zu erzählen. Warum das so ist, ist schwer zu erklären. Freud würde sagen: Es ist der in jedem Mann schlummernde Mutterkomplex … in der Frau, die er liebt, sieht er auch seine Mutter, der er alles anvertrauen kann.
»Mögen Sie Anwar, Natalja?« fragte Ducoux unvermittelt.
»Er ist ein sehr interessanter Mann. Und mögen … das ist ein dehnbarer Begriff. Ich mag sie alle hier … den Generalkonsul, den Chef der Remier-Werke, den Architekten Jappeau, den Politiker Amandé, den Abgeordneten Frujère, den Ladenkettenbesitzer Warbourg, Sie, Monsieur Ducoux …«
»Ich möchte, daß Sie mich mehr als nur mögen!«
»Das sollte man nicht fordern, sondern spüren.«
Ducoux gab sich mit dieser Antwort zufrieden. Sie wich zwar aus, aber sie wies ihn auch nicht zurück, und Ducoux sah darin eine Chance. Er nahm zwei Gläser Champagner vom Silbertablett eines barbusigen Mädchens und trank auf sein heimliches Glück. Er stieß mit Natalja an und trank das Glas in einem Zug aus.
Wenig später stellte sich der Dichter Pierre Carbouche auf die Treppe und begann, aus einem seiner Werke vorzulesen. Er rezitierte mit dramatischer Stimme, und da es französisch war, was Natalja nicht verstand, ging sie hinüber zu Madame de Marchandais und lehnte sich an die seidenbespannte Wand.
»Er liebt dich, Kindchen«, sagte Madame leise.
»Wer?« Natalja sah sie erstaunt an. Gut gespielt, denn sie wußte genau, wen Madame meinte.
»Ducoux.«
»Aber nein …«
»Doch. Ich beobachte seine Blicke. Ich sehe, wie er dir bei jedem Schritt, den
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