Tödlicher Staub
Mächtigen in Rußland eine amerikanische Puppe nötig hätten! Ausgerechnet eine Barbie aus den USA!«
»Ihr Charme ist umwerfend, Kevin.« Victoria blickte aus dem Fenster. Sie fuhren gerade durch ein Stückchen Kiefernwald. Warum Reed so unhöflich zu ihr war, konnte sie sich nicht erklären. Anstatt erfreut über eine gute Zusammenarbeit zu sein, machte er von Beginn an klar, daß sie nicht mit seiner Unterstützung rechnen könnte. Die Botschaft duldete sie in Moskau, mehr aber auch nicht. »Wo werde ich wohnen?« fragte sie.
»Vorerst in der Botschaft. Wir haben genug Platz.«
»Das ist gegen die Planung! Colonel Curley sagte mir, daß eine Wohnung in der Stadt gemietet wird.«
»Eine Wohnung in der Stadt! So etwas kann auch nur einer versprechen, der Moskau vom Stadtplan oder vom Fernsehen her kennt. In Moskau herrscht permanente Wohnungsnot. Noch immer müssen vier Personen in zwei Zimmern leben und sich Badewanne und Scheißhaus teilen. Oft haben zwei Familien sogar nur eine gemeinsame Küche! Aber der Herr Colonel Curley will eine eigene Wohnung mieten! Und dann noch innerhalb von drei Wochen!«
»In der Botschaft zu wohnen, ist Unsinn!« Victorias Stimme wurde zum ersten Mal schneidend. Reed starrte sie entgeistert an. »Ich muß völlig selbständig handeln können, allein und unabhängig. Wenn ich Sie jemals brauchen sollte, was ich bezweifle, rufe ich Sie. Major Reed, ich habe eine Menge Sondervollmachten in meiner Tasche, die ich nicht gegen Sie verwenden möchte.«
»Ich kann bei dieser Wohnungssituation keine Wohnung herbeizaubern!«
»Diplomaten haben auch in Rußland einen Ausnahmestatus! Außerdem gibt es jetzt genug private Anbieter und Wohnbaugenossenschaften, die frei über ihre Wohnungen verfügen können.«
»Das sind alles Gangster. Der Immobilienmarkt ist fest in Mafiahand.«
»Das ist ja wunderbar. Das ist genau das, was ich suche: eine Mafiawohnung, besser kann es gar nicht kommen! Da bin ich als Mieter schon einen Schritt weiter.«
»Die Kerle verlangen irre Mieten!«
»Bezahlen Sie das oder die CIA?«
Reed spielte den Beleidigten. Sein männlicher Stolz hinderte ihn daran, Victoria anzuerkennen und nachzugeben. Die CIA in Moskau war er, Reed, nicht eine herübergeschickte Puppe, die glaubte, mit langen Beinen den Moskauer Untergrund zu erobern. Curleys Idee oder wer auch immer sie geboren hatte, war ein Blödsinn, ein Überbleibsel aus dem Chicago der zwanziger und dreißiger Jahre, wo man einen Gangsterboß im Bett überführen konnte. Die Zeiten hatten sich geändert, und außerdem war man hier in Rußland, und hier liefen die Dinge völlig anders, verglichen mit den Gesetzen der Mafia in Italien oder Übersee. Hier funktionierten die Geschäfte ähnlich denen der chinesischen Triaden: Verräter, Spitzel, Überläufer, Ungehorsame, Verdächtige oder diejenigen, die zuviel wußten, wurden ganz einfach erschossen … entweder an abgelegenen Orten oder auch auf offener Straße. Ein Menschenleben ist in diesen Kreisen absolut wertlos.
Ein solches Schicksal sollte Victoria Miranda nicht ereilen, damit hing Reeds Ärger zusammen, es war nicht nur seine Ablehnung gegenüber Spezialagentinnen. Er wollte Victoria ersparen, in den Lauf einer Kalaschnikow zu blicken. Von Curley war es unverantwortlich, eine Frau wie sie nach Moskau zu schicken. Bei seinem nächsten Urlaub in den USA wollte Reed ihm das ins Gesicht sagen.
In der Botschaft empfing der Botschafter selbst seinen neuen Gast. Er begrüßte die noch immer wütende Victoria mit einem Handschlag, wünschte ihr viel Glück und ließ sie auf ihr Zimmer führen.
Es war ein schönes, großes, helles und sogar luxuriös eingerichtetes Zimmer, aber für Mirandas Zwecke völlig ungeeignet. Wie Fontana in Paris zog sie sich aus, stellte sich unter die Dusche und wickelte sich dann in ein großes Badetuch ein, legte sich auf das Bett und schlief sofort ein. Im Schlaf strampelte sie sich frei – es war ein warmer Tag in Moskau – und lag in herrlicher Nacktheit in dem gedämpften Licht, das durch die zugezogene Gardine schimmerte.
So fand Reed sie vor, als er ins Zimmer kam, um Victoria die Einladung des Botschafters zum Abendessen zu überbringen. Sie hatte vergessen, das Zimmer abzuschließen.
Reed blieb eine Weile an der Tür stehen und betrachtete sie. Plötzlich stellte er sich vor, wie dieser makellos schöne Körper aussehen würde, wenn Victoria in die Hände der Mafia fiel, entlarvt als Spitzel der CIA. Eine
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