Tödlicher Staub
und raffte den Bademantel zusammen. »Sehen Sie sich dieses Tier an, Kapitän.«
Santaldo brauchte nicht hinzusehen, er hatte es bereits beim Eintritt in die Kabine wahrgenommen und wußte, was Loretta meinte.
»Sind Sie verletzt, Mrs. Dunkun?« fragte er teilnahmsvoll.
»Ich weiß es nicht. Ich fühle mich wie zerrissen. Ich will, daß mich der Arzt untersucht.«
»Sofort!« Santaldo verstand den Wunsch Lorettas bei einem schnellen Seitenblick auf den Schnarchenden. »Der Zweite Offizier wird Sie zum Lazarett begleiten.«
»Und was passiert mit dem Untier?«
»Ich nehme ihn in Haft und übergebe ihn den Behörden in Haifa.«
»Und dann?«
»Die Polizei in Haifa wird alles zu Protokoll nehmen.« Santaldo kratzte sich die Nase. Er wußte auch nicht, wie dort die Rechtslage war. Konnte die israelische Polizei den Täter festhalten? Die Tat war auf einem italienischen Schiff, also auf italienischem Hoheitsgebiet geschehen und fiel deshalb unter italienisches Recht. »Kennen Sie den Mann, Mrs. Dunkun.«
»Flüchtig, wie man einen Passagier eben kennt. Er ist Russe.«
»Auch das noch! Das kompliziert alles!« Santaldo fühlte sich wirklich elend, dies einzugestehen. »Ich kann Ihnen gar nichts sagen … Ich weiß nur, daß ich ihn in Haifa an Land setze. Wenn Sie offiziell eine Anzeige erstatten …«
»Das tue ich!« Loretta sah Santaldo empört an. »Sie glauben doch wohl nicht, daß ich dieses Verbrechen verschweige. Er soll verurteilt werden!«
»Wie ich sehe, ist der Mann sinnlos betrunken. Man könnte ihn für nicht zurechnungsfähig halten.«
»Als er mich mißbrauchte, wußte er genau, was er tat! Sie hätten hören sollen, was er alles zu mir gesagt hat, während er … O Gott! Ich will sofort zum Arzt …«
Während im Ballsaal Beethovens Mondscheinsonate erklang, brachte der Zweite Offizier die schwankende Loretta zum Schiffsarzt, drei Stewards trugen den noch immer gefesselten Anassimow in eine leere Mannschaftskabine, befreiten ihn von den Fesseln und schlossen ihn ein. Er wälzte sich auf dem Bett zur Seite, schnaufte kurz und schlief weiter.
Santaldo stieg hinauf zur Funkstation und benachrichtigte die Hafenbehörde von Haifa. Er wurde weitervermittelt zur Polizei. Dort war man nicht gerade erfreut, mit einem solchen Fall belästigt zu werden. »Wir holen ihn von Bord«, sagte der Polizeichef von Haifa. »Wie heißt er?«
»Laut Passagierliste Wladimir Leonidowitsch Anassimow. Wohnhaft in Moskau.«
»Auch noch ein Russe! Das wird kompliziert.«
»So sehe ich das auch.« Santaldo starrte auf das Funkgerät. Der Erste Funkoffizier nickte ihm bestätigend zu. »Aber ich kann ihn nicht an Bord gefangenhalten. Wir werden erst in neun Tagen wieder Genua anlaufen. Die Russen würden das als Freiheitsberaubung ansehen. Sie, als Polizei, haben da mehr Rechte.«
Nach dem Funkgespräch kehrte Santaldo in den Ballsaal zurück. Der Pianist spielte gerade Tschaikowsky. Santaldo lehnte sich in seinem Polstersitz zurück und schloß die Augen, als konzentriere er sich auf die Musik. In Wahrheit dachte er: So ein Mist! Ein Skandal liegt in der Luft. Ein Besoffener vergreift sich an einer schönen Frau … verdammt, kann man das nicht niederschlagen? Man müßte Mrs. Dunkun aufklären, daß sie bei der Polizei alles erzählen muß, in allen Einzelheiten, vielleicht besteht sie dann nicht mehr auf einer Bestrafung. Es ist ja immerhin peinlich, alles zu Protokoll zu geben, was Anassimow mit ihr getrieben hat.
Santaldo beschloß, noch einmal mit Loretta Dunkun zu sprechen.
In Haifa kamen sofort, nachdem die Monte Christo II an der Pier festgemacht hatte, vier israelische Polizisten und ein Polizeileutnant an Bord. Kapitän Santaldo drückte dem Offizier die Hand und atmete auf.
»Schaffen Sie diesen Russen so schnell wie möglich von Bord!« sagte er. »Zwei Tage tobt es nun schon herum, hat die gesamte Kabineneinrichtung zerschlagen, wenn wir ihm sein Essen bringen, müssen immer vier Mann mit, sonst überrennt er sie … wenn Sie ihn abführen, müssen Sie ihn fesseln. Haben Sie Fesseln bei sich?«
»Das würde bei Ihren Passagieren Aufsehen erregen.«
»Die meisten Passagiere gehen zu einem Ausflug an Land. Um fünfzehn Uhr ist das Schiff fast leer.«
»Jetzt ist es kurz vor zwölf.«
»Ich lade Sie und die anderen Herren zum Essen ein.« Kapitän Santaldo war die Gastfreundschaft in Person. Bis auf die Stewards, die Anassimow in die Kabine getragen hatten, den Zweiten Offizier und den Schiffsarzt,
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