Tödlicher Staub
der Loretta Dunkun untersucht hatte und ein Attest ausstellte, daß eine Vergewaltigung vorlag, aber keine Verletzungen festzustellen waren, hatte niemand an Bord gemerkt, was geschehen war. Nur einigen Damen fiel auf, daß der schöne Russe nicht mehr in knapper Badehose am Pool spazierenging oder dekorativ in seinem Liegestuhl in der Sonne lag. Für die Männer an der Poolbar war das Rätsel erklärbar.
»Jetzt hat's ihn doch gepackt«, war die einhellige Meinung. »Er hat sich krank gesoffen! Vierzehn Tage nur an der Flasche, wer hält das aus?« Dennoch schwang etwas wie Ehrfurcht in den Stimmen mit.
Die israelischen Polizisten hatten keine Mühe, Anassimow von Bord zu bringen. Als der Zweite Offizier die Kabinentür aufschloß, saß Wladimir Leonidowitsch zwischen den Trümmern der Einrichtung auf einem Stuhl, der nur noch drei Beine hatte, an der Wand und leistete keinen Widerstand, als der Polizeioffizier auf englisch sagte:
»Kommen Sie mit, Sie sind verhaftet.«
»Und warum?« fragte Anassimow, erstaunlich friedlich.
»Man wirft Ihnen die Vergewaltigung von Mrs. Loretta Dunkun vor.«
»Ich habe keine Frau vergewaltigt!« Anassimow erhob sich von seinem dreibeinigen Stuhl. »Wer behauptet das?«
»Mrs. Dunkun.«
»So ein Blödsinn. Na ja, zu Anfang hat sie sich ein bißchen gewehrt, es kam ihr wohl zu plötzlich, aber danach hat sie mitgemacht … und wie!«
»Sicherlich aus Angst!« unterbrach ihn der Zweite Offizier barsch.
»Angst? Da muß ich lachen! Was Loretta – freiwillig – alles hingelegt hat, etwa zwei Stunden lang, hat mich umgehauen. Und das will was heißen.« Anassimow richtete sich auf und warf sich in die Brust. »Ich verlange einen Anwalt und ein Gespräch mit dem russischen Botschafter! Man hat mich ohne Anhörung eingesperrt. Ein Skandal ist das!«
»Wir werden das alles genau untersuchen, Sir«, sagte der Leutnant höflich. »Kommen Sie mit?«
»Und wenn nicht?«
»Dann muß ich Sie abführen lassen, in Handschellen. Das wäre dann wirklich ein Skandal.«
Anassimow nickte. »Ich weiche der Gewalt. Aber das wird Folgen haben. Unangenehme Folgen.«
Von da ab sprach er kein Wort mehr. Er stieg in den an der Pier wartenden Polizeiwagen, drückte sich ins Polster und blickte stur geradeaus. Sein markantes Gesicht mit der Adlernase war wie versteinert. Er hätte nicht so regungslos dagesessen, wenn er gewußt hätte, daß zwei Polizisten seinen Kabinenschrank leerräumten und seine beiden Koffer packten. Einer von ihnen war besonders schwer. Ein Metallkasten lag in ihm, eingewickelt in zwei Unterhosen.
Die israelischen Beamten waren sehr höflich. Sie führten Anassimow in ein Zimmer mit einer Ledercouch und baten ihn, zu warten. Sogar der stellvertretende Polizeipräsident begrüßte ihn, als sei er ein Gast. Nur daß man die Tür hinter ihm wieder abschloß, mißfiel Anassimow.
Auch als man nach einer knappen Stunde wieder zu ihm kam, war man sehr höflich zu ihm. Ein höherer Polizeioffizier – Anassimow kannte die Dienstgrade nicht – drückte ihm die Hand und sagte:
»Wir fliegen nach Tel Aviv, Mr. Anassimow. Bitte, kommen Sie mit.«
Anassimow zögerte. »Fliegen?« fragte er. »Wieso? Und warum Tel Aviv? Ich verpasse die Abfahrt meines Schiffes!«
»Falls das der Fall sein sollte, bringen wir Sie zum nächsten Hafen, den die Monte Christo II anläuft. Sie wollten doch einen Anwalt haben und mit Ihrem Botschafter sprechen, und der residiert in Tel Aviv. Darf ich bitten …«
Der Flug im Hubschrauber war für Anassimow ein Erlebnis. Unter ihm zog sich die Küste hin, Dörfer, Felder, herrliche Sandstrände, Fabriken und Hotelpaläste, aber dann drehte der Pilot plötzlich ab, flog eine scharfe Kurve Richtung Landesinnere. Anassimow sah Wüstenregionen, menschenleere Gebiete, Oasen und neugebaute Dörfer. Kibbuze, Gemeinschaftssiedlungen zur Erschließung des Brachlandes.
Erstaunt wandte er sich an den neben ihm sitzenden Polizeioffizier, der darauf schon lange gewartet zu haben schien und ihn anlächelte.
»Wo fliegen wir denn hin?« Anassimow zeigte mit dem Daumen nach unten. »Da geht es doch nicht nach Tel Aviv.«
»Nein.«
»Wir fliegen ins Landesinnere!«
»Ja.«
»Warum denn das?«
»Wir mußten umdisponieren, Mr. Anassimow. Wir werden im Kibbuz ›Neuer Tag‹ landen.«
»Kibbuz?« fragte Anassimow. »Was ist das?«
»In Rußland nannte man das früher Kolchose, Sowchose oder Kombinat. Es ist eine neugegründete Dorfgemeinschaft, in der sich
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