Tödlicher Staub
ganze Sache ist so verrückt, daß mir weitere Worte fehlen. Ich habe in Moskau einen Textilhandel und bin ein ehrlicher Kaufmann. Sie können sich in Moskau erkundigen. Ich gebe Ihnen alle Adressen. Man hat mich heimlich für diesen Plutoniumtransport mißbraucht. Ich bin kein Täter, ich bin das Opfer! Sehen Sie das doch endlich ein. Und mehr kann ich dazu nicht sagen.«
Damit war auch das erste Verhör beendet. Zwei Beamte des MOSSAD brachten Anassimow in eine Zelle, einem heißen, stickigen Raum ohne Klimaanlage oder Ventilator. Hier standen nur ein Bett, ein Stuhl und ein Tisch und in der hinteren Ecke ein Fäkalieneimer mit einem Holzsitz.
Seufzend ließ sich Anassimow auf das Bett sinken, drehte sich auf den Rücken, verschränkte die Arme hinter seinem Nacken und starrte an die weißgetünchte Decke.
Was wird nun? dachte er. Nehmen Sie mir die Geschichte mit dem Unbekannten ab? Logisch gesehen müssen sie es … sie haben keinerlei Beweise, daß ich das Plutonium aus Moskau mitgebracht habe. Und alles hatte so perfekt geklappt … die lockere Kontrolle auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo II, für die der große Sybin gesorgt hatte, der Transport vom Flughafen Istanbul zum Schiff, alles war so einfach gewesen. So völlig normal. Und dann muß man auf einer Frau wie Loretta hängen bleiben, und alles ist zu Ende. Wenn Sybin das erfährt, gibt es nur eine Konsequenz: die Heimat Rußland vergessen und irgendwo auf der Welt untertauchen, und sei es in Feuerland oder in Alaska – nur weiterleben. Das war jetzt sein einziges Ziel. Es war deprimierend, zu erkennen, daß sich das ganze Leben durch eine einzige hormonelle Explosion verändert hatte. Was kann man dazu nur sagen? Scheiße!
Der MOSSAD hielt Anassimow zehn Tage lang gefangen.
Immer und immer wieder wurde er verhört, immer mit den gleichen Fragen traktiert, Tag und Nacht, mal morgens um fünf, dann abends um dreiundzwanzig Uhr, im Licht starker Scheinwerfer, die auf ihn gerichtet waren, die ihn blendeten und schwitzen ließen.
»Wo sollten Sie das Plutonium abliefern?«
»Ich wiederhole: Ich wußte nichts von dem Stahlkasten.«
»Wer ist Ihr Auftraggeber?«
»Ich habe keinen, verdammt noch mal. Ich war auf Urlaubsreise, wollte das Mittelmeer kennenlernen.«
»Woher stammt das Plutonium?«
»Wie soll ich das wissen? Ich habe nichts damit zu tun.«
Nach diesen zehn Tagen flog man Anassimow nach Tel Aviv. »Es hat keinen Zweck«, sagte Zvi Silberstein zu seinen Geheimdienstkollegen. »Wir drehen uns im Kreis, und Anassimow ist ein harter Bursche. Wir bekommen nichts von dem heraus, was er weiß. Bringen wir ihn zur Zentrale.«
In Tel Aviv wurde Anassimow noch einmal drei Tage lang verhört – natürlich ohne Erfolg. Fragen und Antworten glichen denen im Kibbuz. Sogar der Chef des MOSSAD sah ein, daß alle weiteren Worte sinnlos waren.
»So werden wir nie erfahren, wer hinter diesem Plutoniumschmuggel steckt. Und wir können Anassimow nicht einmal widerlegen, daß er von dem Stahlkasten in seinem Koffer nichts wußte. Diese zwei Tage Gefangenschaft auf dem Schiff sind sein bestes Alibi. Natürlich kann ein Unbekannter ihm das Plutonium in den Koffer gesteckt haben. Was dann in Alexandria passiert wäre, können wir nur ahnen, aber nicht beweisen. Wir müssen einfach seine Version glauben. Natürlich ist er der Nuklearschmuggler, ohne Zweifel, und das Plutonium 239, diese zweihundert Gramm, waren eine Qualitätsprobe, die den Abnehmer überzeugen sollte. Wir wissen jetzt durch die Laborbefunde, daß es fast neunzigeinhalb Prozent reines Plutonium ist. Wenn davon noch mehr auf dem Markt ist, wenn es sogar einige Kilogramm auf Abruf sind, dann Gnade uns Gott! Aber: Wie es beweisen?«
»Und was schlagen Sie vor?« fragte der konsternierte Verteidigungsminister, den man zu der abschließenden Besprechung gebeten hatte.
»Wir lassen Anassimow frei und entschuldigen uns bei ihm.«
»Unmöglich!«
»Er soll glauben, daß wir ihm sein Märchen abnehmen. Aber er wird keinen Schritt unbeobachtet tun! Nathan Rishon wird ihn nicht aus den Augen lassen. Er ist ein Meister in der Observation. Und wir werden Anassimow mit Jermila zusammenbringen.«
»Wer ist Jermila?« fragte der Minister, erregt von dem Gedanken, daß sich Israel bei einem Atomschmuggler entschuldigen würde.
»Eine der schönsten Frauen, die ich bisher gesehen habe. Sie besitzt eine Modeboutique in Tel Aviv, die wir eröffnet haben. Eine gute Tarnung … für eine unserer
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