Tödlicher Staub
vorgestellt, daß jemand ihn tötet … nur ich konnte es nicht tun. Und jetzt habe ich es doch getan. Deinetwegen, um dich zu retten … er hatte das Messer, du hattest nichts. Ich mußte es tun!«
»Und du bist nach Paris gekommen, in diesen feinen ›Roten Salon‹ der Madame de Marchandais, um Kontakte mit Atomkäufern zu knüpfen?«
»Ich sollte die Namen von Konkurrenten herausfinden, die in Sybins Markt eingedrungen waren. Er wollte der Alleinherrscher sein. Er wußte, daß in Paris und Marseille unbekannte Anbieter tätig waren.« Sie lehnte den Kopf gegen den Wannenrand und tastete nach seiner Hand. »Ich habe dieselbe Aufgabe gehabt wie du … stimmt das?«
»Ja. Ich sollte den Kopf der Organisation oder Hinweise auf ihn suchen.«
»Er liegt nebenan, zweimal gespalten.«
Sie stieg aus der Wanne und schlang das Badetuch um ihren Leib. Ein paar Blutspuren waren an der Wannenwand zurück geblieben – Fontana drehte die Handdusche auf und spülte sie weg. Während er zusah, wie das Wasser gurgelnd im Abfluß verschwand, wurde er ruhiger und konnte wieder nüchtern denken, unbelastet von dem brennenden Gefühl, mit Natalja die Geliebte des meistgesuchten Mannes in den Armen gehalten zu haben.
»Ich habe eine Idee …«, sagte er.
»Verzeihst du mir?« Natalja lehnte an der Wand des Bades. Aus ihrem Haar lief das Wasser über ihr Gesicht, aber sie trocknete es nicht ab.
»Was soll ich dir verzeihen?«
»Daß ich die Geliebte von Sybin war.«
»Ich habe nie vorausgesetzt, daß du noch Jungfrau bist.« Es sollte ironisch klingen, aber sie hörte die Bitterkeit heraus.
»Auch wenn du es nicht mehr glaubst«, sagte sie, »ich liebe dich. Du bist der erste Mann, der mich überzeugte, daß es wirklich Liebe gibt. Ich habe nicht gewußt, was Liebe ist. Glaub es mir …«
Er ging nicht auf ihr Geständnis ein, er überhörte es, als habe sie nichts gesagt.
»Wir müssen Sybin wegschaffen«, sagte er und lehnte sich ihr gegenüber an die Wand. »Niemand soll erfahren, was hier geschehen ist. Wir haben Sybin in Paris nicht gesehen. Aber man wird ihn finden … und dann werden die Unbekannten, mit denen er gearbeitet hat, reagieren. Es wird Panik geben, Ratlosigkeit, eine hektische Betriebsamkeit … wer liefert jetzt Plutonium und Uran? Mit wem muß man neue Verbindungen knüpfen? Ist jetzt das Händlernetz zerrissen? – Das ist die große Chance, aus einem aufgewühlten Teich die dicksten Fische herauszuholen!« Er sah sie mit gerunzelten Augenbrauen an. »Zieh dich an …«
»Es … es ist alles im Zimmer. Ich kann nicht hinausgehen, ich kann nicht …«
Er verstand sie, verließ das Badezimmer und holte die Wäsche und das Kleid, die über der Stuhllehne hingen, und dazu mußte er mit einem großen Schritt über Sybin steigen. Er lag in einer riesigen Blutlache – es war ein Anblick, der starke Nerven erforderte.
Nataljas Kleidung über dem Arm, beugte sich Fontana über die Leiche. Seine letzten Zweifel wurden vom Anblick der linken Hand des Toten beseitigt. Es fehlte ein Finger. Er war der ›Neunfingermann‹, wie Ducoux ihn nannte, der Boß aller Bosse.
Natalja hat die Welt von einer großen Gefahr befreit, dachte er, dafür müßte ihr die ganze Menschheit dankbar sein. Aber was wird nun aus ihr? Kann sie noch in Moskau leben? Bleibt sie in Paris? Wovon will sie leben? Mit Sybins Tod ist auch die frühere Natalja gestorben. Wie wird die neue Natalja aussehen? Wird es einen neuen Geliebten geben, der sie verwöhnt? Oder wird sie der Star im ›Roten Salon‹, für jeden käuflich, der das nötige Geld hat? Verdammt, Dick, mach dir auch darüber Gedanken! Sie hat dir dein Leben gerettet und ihres damit zerstört. Und jetzt willst du sie fallenlassen, weil sie einem Sybin gehorcht hat, der sie aus dem Dreck holte und zur reichen Frau machte. Ist das unehrenhaft? Warst du nicht willens, sie in dein Leben mitzunehmen? Und jetzt soll alles vergessen sein, weggewischt durch die dumme Eifersucht, daß sie die Geliebte eines anderen Mannes gewesen ist? Gibt es im Leben nicht auch mal einen Schlußstrich, hinter dem ein neues Leben beginnt? Haben wir nicht mehrere Leben, die wir durchschreiten? Dick, du liebst sie doch; seit du sie kennst, hast du den Wunsch gehabt, sie mit nach Washington zu nehmen. Du hast dir auch schon überlegt, was du Curley sagen willst, wenn er verbieten sollte, daß du eine Russin heiratest. Das Sicherheitsrisiko! Soll die Politik eine Liebe zerstören? »Sir, ich bitte um meine
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