Tödlicher Staub
öffnete, hielt er Madame Bandu noch einmal fest.
»Erschrecken Sie nicht«, sagte er. »Es ist kein schöner Anblick. Haben Sie starke Nerven?«
»Muß man die nicht haben bei einem Hotel am Pigalle?«
»Sein Kopf ist gespalten.«
»Ich werde es ertragen.«
Sie betraten das Zimmer, und trotz der Warnung zuckte Madame Bandu heftig zusammen. Aber nicht wegen Sybins Anblick, sondern wegen des vielen Blutes, in dem er lag.
»So eine Sauerei!« sagte sie empört. »Wie soll ich das je wieder sauber kriegen? Ich werde das Zimmer drei Wochen lang nicht vermieten können. Mein bestes Zimmer.«
»Ich bezahle Ihnen die drei Wochen, Madame.«
»Das habe ich gehofft.« Sie sah sich um, als suche sie etwas. »Wo ist Natalja?«
»Im Badezimmer. Sie hat Angst vor dem Toten.«
»So ein Unsinn! Der harmloseste Mensch ist der Tote! Vor den Lebenden muß man Angst haben.« Sie ging zur Badezimmertür und schlug mit der Faust dagegen. »Komm heraus!« rief sie resolut. »Sei nicht so hysterisch! Der Kerl muß weg.«
Natalja schob den Riegel zurück und kam heraus. Sie hatte sich angezogen, aber als sie einen schnellen Blick auf Sybin warf, verzerrte sich ihr Gesicht: das Beil in der Blutlache, der Schädel, zweimal gespalten … und das hatte sie getan, ohne zu zögern, ohne nachzudenken, mit der Kraft der Verzweiflung. Jetzt war es ihr unbegreiflich, daß sie zu so etwas fähig gewesen war.
»Ich fahre den Wagen zur Gasse«, sagte Dick und nahm den Autoschlüssel vom Tisch. Der Kaviar lag nun in dem geschmolzenen Eis, das bereits in Scheiben geschnittene Baguette war getrocknet, und noch immer wurde im Radio Popmusik gespielt. Er schaltete das Gerät aus. »Haben Sie eine alte Decke, Madame? Wir müssen ihn einwickeln, sonst versaut er Madame Marchandais' Wagen.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte er aus dem Zimmer. Kurz darauf hörte Natalja, wie der Motor angelassen wurde. Sie stand am Fenster, mit dem Rücken zu dem Toten, und starrte auf die dunkle Straße. Um diese Zeit waren viele Menschen unterwegs, das Vergnügungsviertel von Montmartre erwachte zum nächtlichen Leben.
Nach wenigen Minuten kehrte Fontana zurück. »Es geht«, sagte er, »der Wagen paßt wie ein Korken in den Eingang der Gasse. Von der Straße aus ist nichts zu sehen. Schaffen wir ihn weg, Natalja, du nimmst die Beine, ich trage ihn unter den Achseln. Madame, sie drücken ihn in der Mitte hoch.«
Natalja würgte, als sie Sybins Beine packte. Sie biß sich auf die Lippen, und als Fontana »Jetzt! Hoch!« kommandierte, riß sie Sybins Beine in die Höhe und machte die ersten Schritte. Er war schwerer, als sie gedacht hatte, und sie hatte Mühe, Stufe für Stufe die Treppe hinunterzusteigen, ohne zu stolpern oder auszurutschen.
Sie schafften es bis zum Kofferraum des Citroën und schoben keuchend und schwer atmend die Leiche hinein. Fontana schlug den Deckel zu.
»Geschafft!« sagte er.
»Wir haben die Decke vergessen.« Madame Bandu lehnte sich gegen den Wagen. »Pardon, Bob.«
»Wir werden den Kofferraum auswaschen, bevor wir den Wagen abliefern.«
»Wo wollt ihr die Leiche loswerden?«
»Ich habe gedacht, wir werfen sie an einer einsamen Stelle außerhalb von Paris in die Seine.«
»Schlecht, sehr schlecht – man wird ihn herausfischen.«
»Das soll man ja.«
Madame Bandu starrte Fontana fassungslos an. Sie verstand nichts mehr, aber sie fühlte, daß hier etwas geschehen war, das sie nie begreifen würde.
»Wer war dieser Sybin?« fragte sie.
»Das ist eine lange Geschichte, Madame.« Fontana blickte auf seine Hände, die voller Blut waren. »Ich werde sie Ihnen erzählen, wenn wir viel Zeit haben.« Juliette nickte. Sie wußte, daß er es nie erzählen würde.
Sie blieb am Eingang der Gasse stehen, bis Fontana und Natalja weggefahren waren, und ärgerte sich gewaltig, daß sie nun das Blut wegwischen und die Betten neu beziehen mußte.
Irgendwo außerhalb der Stadt, an einer mit Büschen dichtbewachsenen Uferstelle, zerrten Dick und Natalja mühsam Sybin aus dem Kofferraum, schleiften ihn die Uferböschung hinunter und warfen ihn in die Seine. Die Strömung riß den Toten mit, seine Jacke blähte sich auf und hielt ihn wie eine Schwimmweste über Wasser, aber als sie sich voll Wasser gesogen hatte, versank Sybin im Fluß.
Natalja blickte ihm nach, bis das Wasser ihn verschluckte. Sie hob die Hand und sagte laut:
»Nitschewo!«
Nichts!
Es war ihr letzter Gruß an ein vergangenes Leben …
Im ›Roten Salon‹ der Madame de
Weitere Kostenlose Bücher