Tödlicher Staub
Vanillepudding eingebacken war. In seiner Jugend hatte Brockler davon fünf Stück essen können.
Dr. Boehmer verließ das Zimmer, der Protokollführer baute sein Tonbandgerät auf.
»Frühstücken Sie in aller Ruhe zu Ende, Herr Brockler«, sagte Wallner freundlich. Seine alte Taktik, Vertrauen und Sympathie zu erwecken. »Wie war die Nacht?«
»Das können Sie sich denken, Herr Oberrat.«
»Fremdes Bett, eingeschlossen …«
»Das war es nicht.« Brockler trank seine Tasse Kaffee aus. »Ich habe mir Vorwürfe gemacht. Ich war ein Rindvieh …«
»Das ist weit untertrieben.«
»Ich weiß. Für Sie bin ich ein Schwerverbrecher.«
»So hoch möchte ich Sie nun doch nicht einstufen. Ich nehme an, Sie sind in die ganze Sache hineingeschliddert.«
»Genau.«
»Das sagen sie alle«, warf Kommissar Berger ein. Ein mißbilligender Blick von Wallner traf ihn. Aber Brockler setzte sich ruckartig auf.
»Nun, wir haben etwas Erfahrung mit Atomschmugglern.«
»Aber davon habe ich noch nie etwas gehört oder gelesen.«
»Es ist eine Art von Kriminalität, die wir in der Öffentlichkeit sehr diskret behandeln. Bisherige Verfahren fanden hinter verschlossenen Türen statt.« Wallner lehnte sich zurück und nickte; das war das Zeichen für den Protokollführer, das Tonband laufen zu lassen. »Sie wollten mir etwas von einem KGB-Major Pujaschew, einem Professor Poltschow und über das Atomwerk Tomsk erzählen.«
»Das haben Sie aber gut behalten, Herr Oberrat.«
»Ein Tonband lief mit.« Wallner grinste Brockler an.
»Dürfen Sie das überhaupt, ohne mich vorher zu fragen?«
»In außergewöhnlichen Fällen wie Ihrem setze ich alle Mittel ein. Da hört für mich das Grundgesetz ›Die Würde des Menschen ist unantastbar‹ auf! Jetzt sehen Sie ja das Tonband als Protokollhilfe. Also – wie war das in Rußland?«
Brockler holte tief Luft. Wenn er jetzt an die Tage in Moskau dachte, durchzog ein Prickeln seinen Körper, als habe sein Blut Kohlensäure aufgesogen.
»Ich hatte den Auftrag, Porzellan abzuholen, von der staatlichen Manufaktur in Moskau. Nachbildungen des Zarenporzellans. Das habe ich dreimal geholt, den Weg kannte ich also gut. Auch den russischen Versandleiter. Ein netter Mann, hat vier Kinder und …«
»Unwichtig!« Wallner winkte ab. »Was geschah in Moskau?«
»Ich muß beobachtet worden sein.«
»Wie kommen Sie auf den Verdacht?«
»Ich wohnte wie immer im Hotel Kosmos auf dem Prospekt Mira, ein Riesenkasten mit tausendsiebenhundertsechzig Zimmern. Und eine Hotelhalle … da kann man sich verirren! Und da sprach mich in der Bar ein Mann an. Er konnte gut deutsch und sah sehr gepflegt aus. Ich meine, er hatte einen guten Anzug an und war glatt rasiert und trug ein weißes Hemd mit einer modernen Krawatte.«
»Professor Poltschow …«, warf Wallner ein.
»Nein, ein Witali Igorowitsch Pujaschew …«
»Der KGB-Major?«
»Ja. Aber das wußte ich damals noch nicht. Woher auch? Er setzte sich neben mich an den Tresen, fragte, woher ich käme, wie ich hieße, ob ich verheiratet sei und so weiter. Erst hinterher wurde mir klar, daß das ein raffiniertes Verhör gewesen war. Und dann sagte er: ›Wieviel verdienen Sie, lieber Freund?‹ Und ich antwortete: ›Das kommt drauf an, wie lange ich auf Achse bin. Bei langen Transporten verdiene ich ganz gut. Komme so auf die vier- bis fünftausend im Monat.‹ Und da fragt dieser Pujaschew: ›Wollen Sie mal fünfzigtausend verdienen?‹ Ich bin fast vom Hocker gefallen!«
»Fünfzigtausend möchte ich auch mal auf einen Schlag verdienen!« sagte Wallner sarkastisch. »Dafür muß ein deutscher Beamter lange arbeiten. Und weiter?«
»Ich sage: ›Herr Pujaschew, da ist doch was faul, gegen das Gesetz!‹ Und er antwortet: ›Es ist nur ein kleiner Handel, nichts Aufregendes. Natürlich ist er illegal, aber seien Sie ehrlich, lieber Freund, wo kann man heute noch legal das große Geschäft machen? Überall Korruption, Bestechung, Betrug – das ist schon fast die Grundlage, um reich zu werden.‹ Irgendwie hat er recht, habe ich da gedacht. Wenn ich darüber nachdenke, was gerade in unserem Beruf als Fernfahrer alles möglich ist … da holst du Marmorplatten aus Carrara ab, und hinter den Platten stehen die Kisten mit den Antiquitäten. Keiner an der Grenze wird sagen: Räum die Platten weg, und einen Kran dafür holen. Und das ist noch harmlos, wenn man weiß, wie die Dinge laufen, etwa mit ›Frischfleisch‹ … aber das gehört nicht hierher.«
Weitere Kostenlose Bücher