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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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neben dem Tor zum Hof und an der Haustür. Georg hatte sich nicht angemeldet. Am Telefon wurde man leichter abgewimmelt als von Angesicht zu Angesicht. Menges’ Vater glich seinem Sohn in vielem. Er war groß, die Nase war ähnlich gebogen, die Augen genauso wach und beweglich, nur das Gesicht war faltenreich und sonnenverbrannt, das Haar weiß und schütter. Den größten Unterschied aber machte der gewaltige weiße Schnauzbart. Die Rechte, die der alte Menges ihm nach Georgs Vorstellung vorbehaltlos hinstreckte, war knochig, von Altersflecken bedeckt.
    Georg erklärte sein Anliegen und sprach von Helmut Menges’ Bitte um Aufklärung des Überfalls. Der alte Mann, er mochte achtzig Jahre alt sein, führte ihn in die Stube, überraschenderweise ein modern eingerichtetes Wohnzimmer, das Georg in dem verwinkelten Haus aus dunklem Schiefer mit Erkern und Kapitellen, eingerahmt von hellblauen Glyzinien, niemals vermutet hätte. Noch bevor ein weiteres Wort gesprochen wurde, kam ein Wein des Hauses auf den Tisch, eine Riesling-Auslese, dazu eine Karaffe mit Wasser.
    »Viel Zeit kann ich Ihnen nicht widmen«, entschuldigte sich Menges, »die Aufgaben im Weinberg warten nicht. Der Tod hat unser Leben sowie unsere Arbeitsplanung auf den Kopf gestellt.« Er griff zur Flasche und prostete Georg zu. »Ich hoffe, dass Ihr Vorhaben von Erfolg gekrönt ist. Zur Polizei habe ich wenig Zutrauen. Sie hat auch die Schläger nicht gefunden. Ob sie nach ihnen gesucht hat? Ich weiß es nicht und kann es mir auch schlecht vorstellen. Dieser Kriminalkommissar …«
    »Wenzel?«
    »Möglich, dass er so hieß, er war am Montag nach HelmutsTod hier. Er meinte, das könne eine vielversprechende Spur werden. Vielversprechend, in diesem Zusammenhang. Wie taktlos. Was nützt es, wenn sie den Mörder finden? Mir nichts, Helmut ist tot.«
    »Aber es wird ein Mörder aus dem Verkehr gezogen«, wandte Georg ein.
    »Bei politischen Hintergründen – alles andere schließe ich aus, junger Mann – wird es keinen Täter geben. Die Brücke wird gebaut werden, mit oder ohne Bauchspeicheldrüse des ehemaligen Ministerpräsidenten, Nürburgringpleite hin oder her, alles ist egal, es sind immer die Zauderer und Angsthasen, die uns letzten Endes in den Rücken fallen, an denen eine Veränderung scheitert. Vor denen hüte dich, habe ich Helmut immer wieder eingeschärft, sie verraten dich. Aber in Wirklichkeit bin ich schuld an seinem Tod.« Hans-Heinrich Menges schien auf dem Tischtuch irgendetwas zu suchen, sein Blick irrte umher. Es waren Sekunden, in denen die mühsam aufrechterhaltene Fassade des alten Winzers durchsichtig wurde. Dann schüttelte er den Kopf, als wehre er sich gleichzeitig gegen den Gedanken.
    »Ich hätte meinem Sohn viel früher raten müssen, dass er sich aus der Sache raushält. Es hat keinen Zweck mit dem Widerstand, nicht bei uns an diesem Fluss, nicht in diesem Tal, nicht in diesem Land. Das mit der Brücke zieht sich schon so lange hin, dass keine Aussicht auf Erfolg besteht. Schauen Sie sich mal oben auf dem Moselsporn um, wie weit die anderen Arbeiten gediehen sind. Die Brücken stehen bereits in der Landschaft, Trassen sind geschlagen, Löcher für die Pfeiler werden gebohrt. Da wird nichts mehr zurückgedreht. Der Moselaner hat keinen Weitblick, er sieht seine Moselschleife, dahinter ist die Welt zu Ende. Sie reicht vom Wasser bis nach oben an die letzte Rebzeile, von hier bis nach Bernkastel-Kues auf der einen und bis nach Traben-Trarbach auf der anderen Seite, dahinter kommt nichts mehr. Trier und Koblenz sind bereits Ausland. Wir haben Nachbarn,die sind noch nie am Fluss entlang bis nach Koblenz gefahren. Die Terrassenmosel interessiert sie nicht. Das gilt nicht für alle, manche sind aus dem Tal herausgekommen, sogar bis nach Hongkong und New York, das sind die Wegbereiter, die stellen Moselwein auch in Singapur vor. Aber das ist die Minderheit. Und die Dummen ducken sich in der irrigen Annahme, dass der Kelch an ihnen vorübergeht, dabei zahlen sie die Zeche  – immer. Sie trinken ja gar nichts, Herr Hellberger. Schmeckt Ihnen unser Wein nicht?«
    Georg führte eilig das Glas an die Lippen und beeilte sich, das Gegenteil zu behaupten.
    »Es gibt Leute hier, die aus dem Moseltal ein Weltkulturerbe machen wollen und rein gar nichts gegen die Brücke unternehmen. Kapitalismus ist unsere Religion geworden, der Heilige Geist wurde vom Wachstum abgelöst. Darf man sich nie zufriedengeben, muss man immer wachsen? Können

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