Tödlicher Steilhang
zu finden, immerhin kletterten sie hier an Steilhängen herum, die von der Talsohle her immer steiler anstiegen, je mehr sie sich dem Kamm näherten. Besonders aufmerksam arbeitete er oberhalb der Zeltinger Sonnenuhr, wo er ausgerutscht war. Die Schrammen im Gesicht würden ihn eine Weile an den missglückten Ausflug erinnern. Sein beim Judo erworbener Gleichgewichtssinn half ihm wenig, der war anscheinend genauso aus dem Lot wie sein inneres Gleichgewicht.
Zumindest hatte er etwas von Einzelstock- oder Ganzbogenerziehung begriffen, bei der die Trauben dicht über dem Boden hingen und viel Wärme und Sonne abbekamen – wenn sie denn schien. In flachen Lagen wurde Drahtrahmenerziehung angewandt. Dabei wuchsen die vom Weinstock ausgehenden Ruten zwischen Drähten in einem Spalier. Dadurch wurden die Triebe des Weinstocks aufgerichtet, und die Blätter beschatteten sich gegenseitig weniger, was günstig für die Fotosynthese war und auch die Traubenzone unten freiließ. So wurden Blätter und Trauben besonnt, der Wind konnte durch die Zeilen hindurchgehen und die Trauben trocknen, was dem Pilzbefall vorbeugte.
Abends war Georg mit seinen Kräften so am Ende wie damals als Security bei einem dreitägigen Rockfestival in Dänemark in Regen und Schlamm. Der Rücken schmerzte, die Beine waren müde, der rechte Arm war wie gelähmt und die Hand voller Blasen vom stundenlangen Schneiden. Nach einem Imbiss im »Gasthaus Fayen« und einigen Bieren schaffte er kaum die hundert Meter vom Marktplatz zu seinem Quartier. Er ließ sich aufs Bett fallen, ohne an die übliche Schlaftablette zu denken, und schlief ohne Betäubungsmittel sofort ein. Prompt träumte er das grässlichste Zeug, unter anderem chaotische Szenen wie die, dass Sauter den Winzerkollegen Albers bei einer Kahnpartie auf der Mosel über Bord warf, was Georg bereits bei Sonnenaufgang vor Schreck wach werden und nicht mehr einschlafen ließ. Es gelang ihm nicht, sich zu erinnern, wie dieser Albers im Traum ausgesehen hatte.
Die innere Leere war von Bildern überlagert, von den Eindrücken der Vortage, von Erklärungen und Momenten und von den Menschen, die bis auf Bischof in unerwarteter Freundlichkeit auf ihn zugingen und seine Gegenwart ohne Weiteres hinnahmen. Wenn ihm nicht alles so entsetzlich fremd vorgekommen wäre, hätte er sich dazugehörig fühlen können. Sein Gefühl sagte ihm, dass zu der EifersuchtBischofs auf sein offenes Verhältnis zu Klaus eine gehörige Portion Neid hinzukam, es konnte auch Misstrauen sein, denn dem Kellermeister war es unverständlich, dass ein ehemaliger Geschäftsführer acht Stunden lang im Regen ohne Murren arbeitete. Er hatte sich von Bischof beobachtet gefühlt, und wenn er aufschaute, wich Bischof seinem Blick sofort aus. Zumindest ließ er den Jungen in Ruhe.
Obwohl es heute nicht mehr regnete, fuhr Georg in der Frühe gleich nach Wittlich, um sich einen Regenumhang und Gummistiefel zu kaufen. Auf dem Rückweg verfuhr er sich, kurvte weitläufig über Schnellstraßen, die irgendwann einmal den Zubringer zur Hochmoselbrücke bilden würden. Endlich zurück an der Mosel fuhr er zum Raiffeisenmarkt in Rachtig, wo er Arbeitskleidung fand. Es war ihm unangenehm, das Zeug vom Chef zu tragen.
Die gesamte Tour über begleitete ihn das ungute Gefühl, beobachtet zu werden. Bereits hinter Hannover hatte er bei seiner Anreise das Navigationsgerät ausgeschaltet. Aber COS konnte seine Wege minutiös verfolgen, die entsprechenden Geräte waren vorhanden, obwohl Jason Baxter das stets von sich gewiesen hatte. Doch in einer Arbeitsanweisung an einen ihrer Mitarbeiter hatte Georg einen derartigen Hinweis gefunden. Er sah es als Beweis dafür, dass hier ein privater Spionagedienst entstand, und er hatte auch dieses Schreiben kopiert. Es war eines der Dokumente, deren Veröffentlichung Baxter fürchtete. Die Anweisung durfte nicht bekannt werden, sie war illegal, verstieß gegen deutsche Gesetze.
In Wittlich hatte er ein neues Mobiltelefon erstanden, das er ausschließlich für Anrufe bei Personen nutzen wollte, die mit COS in keiner Verbindung standen. Ohne Kenntnis der Nummer würde ihn auch niemand orten, es konnten keine Bewegungsprofile erstellt werden – aber Baxter wusste sicher längst, wo er sich aufhielt. Wie er bei den Kindern anrufen könnte, ohne dass Miriam seinen Aufenthaltsort erfuhr, warihm noch nicht klar. Jasmin durfte er sowieso nichts sagen, bei ihr hatte er fast alle Hoffnung aufgegeben, sie hinterbrachte
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