Tödlicher Steilhang
Brücke gebaut werde, wie ihm Klaus erklärt hatte, auf dem Moselsporn. Drüben, beim Kloster Machern, war sie fortgesetzt worden, und oberhalb der Weinlage Ürziger Würzgarten hatte sie die Höhen der Eifel erreicht. Das war auch die neue Brückenführung.
Die Rentner schienen alle Experten für Römische Geschichte zu sein, zwei von ihnen ehemalige Lateinlehrer, wie er rauszuhören vermeinte, zu Schulzeiten seine erklärten Feinde. Und dieser Teil der Historie war ihm immer ein Gräuel gewesen. Er hatte die Römer nie als Kulturbringer gesehen – für ihn war Rom eine auf Grausamkeit basierende imperiale Macht gewesen, blutrünstig und gnadenlos, aber bestens organisiert. Er hatte an die Spiele im Circus Maximus gedacht und daran, was man darüber wusste. Damals waren sie mit Schwertern aufeinander losgegangen, mit dem Dreizack, mit Dolchen und Spießen. Wie mussten sich die Gladiatoren gefühlt haben, wenn schon er vor jedem Kampf – die Tatami zwischen sich und dem anderen Judoka –Angst gehabt hatte. Es war beim Judo doch nur darauf angekommen, den Gegner auf den Rücken zu werfen.
Irgendwann war es schummerig geworden, die Rentner waren auf ihre Räder gestiegen und schwatzend und lachend weitergefahren. In der Stille danach hatte er seine Leere als doppelt bedrohlich empfunden, er hatte sich wie ein geprügelter Hund in sein Apartment geschlichen, eine Schlaftablette eingeworfen, ein Glas Wein getrunken, von dem, den Sauter ihm am Vorabend als Schlaftrunk mitgegeben hatte, und war weg gewesen, chemisch abgeschaltet.
Am nächsten Morgen weckte ihn das Klirren von Glas. Georg brauchte eine Weile, bis er das Geräusch mit der Abfüllanlage in Verbindung brachte. Unter der Dusche wurde er erst richtig wach, zog seine ältesten Klamotten an, war gerührt, dass Frau Ludwig ihm Frühstück gemacht hatte, und ging in die Kellerei, wo er sich an der Abfüllanlage zum Dienst meldete, nicht ohne im Vorbeigehen einen Blick auf das geschlossene grüne Tor geworfen zu haben. Für den Rest des Tages war er beschäftigt, Bischof stellte ihn ans Ende der Anlage und ließ ihn über Stunden die gefüllten, verkorkten und etikettierten Flaschen in Kartons stecken, während Klaus ab und zu Zeit fand, ihm etwas zu erklären. Als er abends noch einen langen Spaziergang machte, im Laufschritt bergauf natürlich, um die nötige Bettschwere zu finden, klingelten ihm vom Lärm der aneinanderstoßenden Flaschen noch lange die Ohren. Die Schlaftablette brachte ihn wieder zur Ruhe.
Am Tag darauf regnete es. Frau Ludwig gab ihm den Plastikumhang mit Kapuze von Stefan Sauter, dann arbeiteten sie zu dritt von morgens bis abends im Weinberg. Frau Ludwig brachte ihnen das Mittagessen – mit zwei Flaschen Wein. Sie gingen auf der regennassen Steillage von Weinstock zu Weinstock und schnitten überflüssige, noch grüne Trauben raus und ließen sie zu Boden fallen. Bischof nannte es »Sommerschnitt«, für Klaus war es die »Grüne Ernte«. Es war klar, dass beide recht hatten, aber sie bestanden zumindest nichtdarauf – ein Zeichen der Mäßigung? Ob das nur in seiner Gegenwart der Fall war, ließ sich nicht sagen. Klaus arbeitete gern und schnell und pfiff vor sich hin, Bischof tat, was getan werden musste, und knurrte. Es war auch Klaus, der ihm den Sinn der Grünen Ernte erklärte, bevor Bischof auf die Idee kam.
»Um bessere Qualität zu erreichen, entfernen wir einige der noch grünen Trauben. Dann sammelt sich die Kraft aus der Fotosynthese und aus dem Boden in den verbleibenden Beeren und verhilft zu einem besseren Extrakt. Der Extrakt bleibt gleich, die Wassermenge schwankt. Stellen Sie sich das so vor, als hätten Sie einen Teebeutel für eine Kanne Wasser oder nur für eine Tasse.«
Nach einer halben Stunde bat Georg um eine Schere, er wollte nicht nur herumstehen. Da hielten ihm beide gleichzeitig eine Schere vor die Nase, demnach hatten beide daran gedacht. Es gab den ersten gemeinsamen Lacher – nur kurz, zumindest war es ein Anfang.
Sie fuhren von einer Parzelle zur nächsten, Georg vergaß ihre Namen, jedenfalls war auch der Schlossberg dabei. Sie arbeiteten sich von unten nach oben durch, denn im Dauerregen mussten sie auf den glatten Schieferbrocken höllisch aufpassen, auch der mit Wasser vollgesogene Boden war äußerst rutschig. Nach einer Stunde taten Georg bereits die Füße weh, die Gummistiefel, die man ihm aus Kellereibeständen verpasst hatte, waren zu klein. Er hatte Probleme, einen sicheren Halt
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