Tödlicher Steilhang
Schleife, mal fuhren sie nach Norden und gleich darauf wieder nach Süden, in der nächsten Kehre hatten sie die Sonne gegen sich, dann wieder im Rücken. Sie passierten Orte, deren Namen Georg vom Hörensagen kannte: Erden, Lösnich, Traben-Trarbach, vorbei an der Ruine der Grevenburg, in Engkirch war die nächste Schleuse, heute mit einer Flotte von Ausflugsdampfern, die auf Durchlass warteten. Und hinter Burg lag Pünderich auf der Hunsrückseite. Sie mussten von der Umgehungsstraße links in den Ort abbiegen, die Hauptstraßehinunter und zuletzt durch Gassen, die kaum ein Durchkommen boten, wenn jemand großzügig parkte.
Clemens und Rita Busch wohnten im letzten Haus vor der Mosel, dazwischen lagen nur die Straße zum Campingplatz und eine große, baumbestandene Wiese. Eine Bruchsteinmauer umschloss das alte Fachwerkhaus mit farblich abgesetzten und verzierten Balken, einem verspielten Erker mit Familienwappen sowie mit der Andeutung eines Wachturms an der Stirnseite. Bunt ausgemalte Fachwerke machten das Haus froh und freundlich. Georg stellte den Wagen ab, zu Fuß gingen sie in Richtung Mosel.
Der Campingplatz war, wie Klaus ihn beschrieben hatte: Vor dem Leichtbau am Eingang lag die Terrasse, dort stand ein großer offener Grill, von dem Holzrauch und der Geruch von Fleisch herüberwehten, vermischt mit dem aus der Fritteuse. Zwischen der Einfahrt zum Campingplatz und der Terrasse stand ein Schild mit einem in Kreide geschriebenen Tagesmenü: Jäger- oder Zigeunerschnitzel mit Pommes und Salat für 7,50 Euro. Die Currywurst mit Pommes hingegen war schon für 4,40 Euro zu haben. Was ein Stück vom Spanferkel kostete, das sich an einem Spieß über einem Feuer drehte, war nicht zu ergründen. Es kümmerte den deutschen Irokesen auch wenig, der an einer Absperrkette lehnte und die Welt mit glasigen Augen betrachtete. Ein Mann mit zerfetzten Jeans und ausgefranstem Basecap verlangte lautstark nach Rudi, der sich doch verdammt noch mal endlich melden solle, weil seine Alte am Telefon sei. Typen mit Lederweste, in Motorradkombi, mit steifem Cowboyhut, Kapuzenjacke und in groß gemusterten Hemden im kanadischen Holzfällerlook rundeten das Idyll ab und tranken Flaschenbier im Stehen, die Gäste auf der Terrasse, mit Bäuchen über tief sitzenden Gürteln, widmeten sich dem Tagesmenü.
»Das ist die Welt von Albers’ Schwager«, meinte Klaus grinsend. »Der hat schon alles getrieben, sagt mein Vater, nur keine toten Schafe. Seine Frau und die von Albers sindSchwestern. Und jetzt zeige ich Ihnen die Welt von Albers selbst, dann verstehen Sie den Streit. Seine Söhne sitzen irgendwie zwischen den Stühlen, Rüdiger will es sich mit keinem verderben, aber der Campingplatz ist nicht sein Ding.«
Georg war da unbefangener. Eine gute Currywurst oder Thüringer, dazu Pommes frites aus frischen Kartoffeln in gutem Fett gebraten, hatten ihre Daseinsberechtigung. Nur stimmte hier das Umfeld nicht. Sogar Pepe, der Rocker, hätte sich kaum wohlgefühlt, doch die gegenüber vom Eingang aufgereihten Maschinen hätten ihn begeistert, und er hätte sie auseinanderhalten können: Pepe war der Motorradfan schlechthin. Sollte er ihn herbitten? Er kannte die Mosel von Bikertreffen und den Nürburgring vom Rennen.
Die »Goldene Gans«, Albers’ Hotelrestaurant, war ein solides zweistöckiges Gasthaus, weiß gestrichen, das Dach mit Schiefer gedeckt, freundlich, einladend, der quer stehende rückwärtige Anbau mit den Gästezimmern war jüngeren Datums. Die schattige und von Blumen gesäumte Terrasse war bis auf den letzten Platz besetzt von einem dem Rentenalter nicht mehr allzu fernen Publikum, das seine Fahrräder am Fuß der Treppe abgestellt hatte.
Die »Goldene Gans« traf eher Georgs Geschmack, aber es fehlte der Schwung, der Elan. Nur als er das begriff, dachte er sofort daran, dass auch er nicht mehr derjenige war, der Schwung in irgendeine Sache brachte. Verdammt, da waren sie wieder, wie kreischende Krähen, die Selbstvorwürfe. Wäre Klaus nicht gewesen, er wäre nach Zeltingen zurückgefahren.
Auf dem Weg zum Winzer Clemens Busch zeigte ihm Klaus die bedeutenden Lagen auf der anderen Seite des Flusses, wo das Ufer steil zu einer gewaltigen Wand aus Stein und Wein anstieg, dort hatte auch Busch seine Parzellen: Pündericher Marienburg, nach Süden und Südosten ausgerichtet. Letzteres sagte Georg nur so viel, dass die Trauben viel Sonne bekamen und gut reifen konnten und die Säure moderat blieb. Wie Zucker entstand,
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