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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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verschieden war. Um den Absatz zu fördern, war man vor Jahrzehnten dazu übergegangen, Großlagen einzuführen, deren Namen aber dem Weintrinker wenig Information boten. Busch hingegen nutzte weiter Bezeichnungen, die früher einmal für unterschiedliche Lagen gebraucht worden waren. Seinen Favoriten, den Fahrlay Terrassen, empfand Georg als rund, weich und reif. Wenn er sich dabei Farben vorstellte, fiel ihm sattes Gelb ein. Aber er hielt seine Meinung zurück und probierte weiter. Der drei Jahre alte Falkenlay kam auf den Tisch und schmeckte ihm deutlich besser als der jüngere Bruder.
    Die Diskussion bestritten die Experten, Georg blieb still, wollte keine unbedachte Äußerung von sich geben und hatte doch den Eindruck, bei dieser Probe viel begriffen zu haben. Bisher war er davon ausgegangen, dass die Moselrieslinge entweder zu süß oder zu sauer waren, geradezu bissig in der Säure, penetrant im Zucker. Aber er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, weshalb das so war und worin der Unterschied zu Sauters Weinen bestand, die ihm gefielen, genau wie die Probe in der Nacht zuvor. Es war die Qualität, es war die Substanz, es war das Gefüge zwischen Süße und Säure, esmusste stimmen, und die Weine durften nicht zu jung sein. Er hatte es gestern gemerkt, als er den Wein vom Vortag ausgetrunken hatte, da war er harmonischer gewesen, passender, ausgewogen. Im Gleichgewicht? Ach, es war schrecklich, die rechten Worte zu finden.
    Als der Winzer von der Lese sprach und davon, dass sie bis zu sieben Lesedurchgänge brauchten, um die Trauben zu selektionieren, fragte er sich ernsthaft, ob er dann noch hier sein würde. Doch wo sollte er sonst hingehen? War seine Flucht aus Hannover und vor den ihn erstickenden Problemen bereits zu Ende?
    Man sprach über Spontangärung, wozu Georg verständnisvoll mit dem Kopf nickte und der Fahrer des weißen Ungetüms seinen Senf dazugab. Er fand es erstaunlich, dass der Wein von Oktober bis Mai oder länger im Gärtank blieb, wodurch er Tiefe bekam (was immer das war). Hatte Tiefe etwas mit Gehalt zu tun? Und der biologische Säureabbau wurde zugelassen. Davon hatte er gehört.
    Bevor sie gingen, ließ er sich einen Sechserkarton vom Fahrlay Terrassen mitgeben, billig war er nicht gerade, so viel hatte er für einen Weißwein noch nie ausgegeben, aber es lohnte sich. Vielleicht war es der Anfang für den Aufbau eines Weinkellers, einer Sammlung. Der Wein würde sich jahrelang halten. Und er könnte ihn wieder probieren und sich an den heutigen Tag erinnern. Mit einem Lächeln trug er den ersten Karton seines zukünftigen Weinkellers zum Wagen, einen Hauch von Zufriedenheit in der Nase.

    Auf der Rückfahrt plapperte Klaus in einem fort, er redete über die probierten Weine, verglich sie mit denen von Sauter, sprach von Dingen, die Georg nicht verstand, von den Schwierigkeiten, Steillagen zu bearbeiten, und davon, wie er sich seinen weiteren Weg vorstellte. Wenn er Bafög bekäme, würde er auch in Geisenheim studieren. Mit dem Abschluss als Önologe stünde ihm die Welt offen: die Weinbaugebietevon Mendoza in Argentinien, das kalifornische Napa Valley, Stellenbosch in Südafrika, aber am meisten interessierte ihn das Burgund. Dann würde er an die Mosel zurückkommen und Kellermeister in einem berühmten Weingut werden. Oder er würde sich in Geisenheim in eine Winzertochter verlieben und so an ein Weingut kommen. Klaus war um seine Träume zu beneiden. Ja, er könne auch Sauters Betrieb übernehmen, »und Bischof bekommt sein Gnadenbrot, oder wie das heißt«.
    Bevor sich Klaus wieder auf sein Motorrad schwang, hatte Georg noch eine Bitte: »Beschaffen Sie mir die Namen der Leute, die mit Albers auf der Sitzung waren?«
    »Darauf sind Sie aus! Klar, ist eigentlich verständlich, wenn Sie aus der Sicherheitsbranche kommen. Der Frage ist die Polizei laut Zeitung längst nachgegangen. Im Gemeinderat geben sich alle fünfzehn Mitglieder, die am Abend dort waren, gegenseitig ein Alibi. Der Bürgermeister ist bei der CDU, seine Partei und die FDP machen alle anderen platt, Albers war in der CDU, und die Grünen fressen Kreide, wie mein Vater sagt, wenn sie dafür Jobs kriegen. Was heißt das, Kreide fressen?«
    Wieder lächelte Georg, erstaunt über sich selbst, es war das zweite Lächeln an diesem Tag. »Das ist ein Zitat aus dem Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein. Darin frisst der Wolf Kreide, um die Stimme weich zu machen, die Mutter nachzuahmen, und dann frisst er

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