Tödlicher Steilhang
dem er zuschlagen konnte. Der Sohn war wieder stehen geblieben, ein Tablett auf der Hand, und beobachtete wie versteinert das Geschehen, jederzeit bereit, die Mutter zuschützen. Von Weitem ließ sich das Röhren schwerer Motorräder vernehmen. In diesem Moment zeigte die Frau zum ersten Mal etwas wie Besorgnis oder Angst.
Die beiden Gestalten auf ihren Choppern näherten sich im Schritttempo, was den Auftritt bedrohlich machte. Einer trug einen schwarzen Wehrmachtshelm, der zweite erinnerte Georg fatal an Pepe, den Rocker, der wirkte genauso gefährlich. Doch Pepe war ein herzensguter Mensch, solange man ihn nicht reizte. Wie diese beiden hier gestrickt waren, die neben den Streitenden hielten, ließ sich nur ahnen. Ihre schlecht gemachten Tätowierungen schienen im Knast gestochen worden zu sein.
Frau Albers wechselte schleunigst die Straßenseite und zog ihren Sohn ins Haus. Der feindliche Schwager schwang sich auf den Sozius des Behelmten und verließ unter bewundernd-ängstlichen Blicken der Gäste und Spaziergänger die Bühne.
Für Georg war der Fall klar. Nach dem Tod ihres Mannes konnte es sich nur um Erbstreitigkeiten handeln. Kaum hat der Mensch etwas geschaffen, sind die Neider da und versuchen, es sich mit schönen Worten, mit Drohungen, dann mit üblen Tricks und letztlich mit Gewalt anzueignen.
Hier musste das Leben trotz des Todes des Vaters, des Ehemanns und Inhabers weitergehen. Tief betrübt ging die Witwe zu ihrem Sohn, er umarmte sie tröstend, und beide verschwanden im Gasthaus. Die Gäste auf der Terrasse waren erst beim Auftauchen der Motorräder aufmerksam geworden und hatten es, ohne Hintergründe zu kennen, als Teil ihres Sonntagsvergnügens betrachtet. Vom Gesagten hatte Georg nichts verstanden, aber die Pantomime hatte alles gesagt und ihm die Laune an diesem eigentlich schönen Abend verhagelt. Während er den Zucker in seinem Kaffee verrührte, dachte er an Menges. Was würde Sauter dazu sagen, wenn er sich als privater Ermittler ausgab?
Es ging nicht nur um ihn, es ging auch um seinen Gastgeber,vielmehr um dessen Ansehen, und er fragte sich, weshalb Sauter gerade ihn aufgenommen hatte, weshalb hatte er sich gerade Sauter ausgesucht? Einfach nur, weil es sich so ergeben hatte, weil er und kein anderer da war, weil es nur sein Angebot gab? Zufall, Absicht oder Schicksal? Oder hatte er, wie hunderte Male zuvor, das gewählt, was andere ihm angeboten hatten und für ihn für gut hielten? Was hatte Sauter von ihm gewusst, was geahnt? Sicherlich nicht, wie es in ihm aussah, oder hatte er seine Panzerung durchschaut?
Er durfte hier nichts tun, was Sauter in irgendeinen Misskredit bringen könnte, jeder seiner Fehler, alle seine Worte würden auf seinen Gastgeber und sein Weingut zurückfallen. Ihm konnte oder musste es dabei gleichgültig sein, wie Sauter im Ort stand, ob er gut oder schlecht angesehen oder neutral war.
Ich werde es daran merken, wie man mich behandelt, darin war Georg sich sicher. Alle meine Schritte werden registriert und bewertet. Man weiß längst, dass ich kein Tourist bin. Der kleine Junge von gegenüber hat sicher von unserer Unterhaltung berichtet. Sauters Ansehen im Dorf färbt auf mich ab, er wird zu meiner Vorgeschichte, ich selbst habe hier keine, nur seine. Es konnte ein neuer Anfang werden, aber er wusste, dass es im Leben nie einen Neuanfang gab. Der Anhänger mit der Vergangenheit, den man hinter sich herzog, wurde schwerer, ihm war er bald zu schwer.
Und als ihn diese Gedanken wieder einholten, begann Georg sich zu langweilen. Vielleicht bin ich ein Langweiler, vielleicht ist das mein Problem, weil ich nie was Eigenes auf die Beine gestellt habe, weil ich … verfluchter Dreck! Sogar die Selbstvorwürfe erfüllten ihren Zweck nicht mehr, sogar die langweilten ihn.
Er ging in die Gaststube, um zu zahlen. Als er auf die Rechnung wartete, sah er Frau Albers und ihren Sohn in einer Ecke sitzen. Sie wischte sich Tränen aus dem Gesicht, der Sohn hielt ihre Hand. Es war ein trauriges und ein schönesBild zugleich, es war Trauer und Gemeinsamkeit, Verzweiflung und Zuneigung zwischen den beiden.
Georg starrte auf die Rechnung, er dachte daran, was wohl seine Kinder heute taten. Miriam würde sich auf dem Tennisplatz tummeln, sich mit ihrem Lover treffen und etwas gegen ihn aushecken. Jasmin hockte sicher mit ihren Freundinnen vor dem PC oder starrte auf ihr mit Strass besetztes iPad, um sich kichernd auf geistlosen YouTube-Filmen am Irrsinn anderer zu
Weitere Kostenlose Bücher