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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
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Rhythmen aus ihrem Ghettoblaster. Marisol möchte stehenbleiben und zuschauen, und das tun wir. Ein Typ, der von Kopf bis Fuß silbern angemalt ist wie der Blechmannaus dem Zauberer von Oz , posiert reglos, einen Fuß auf eine Bank gestellt.
    Ein ganz normaler Tag im Quarter.
    Ich weise auf den großen Klinkerbau zu unserer Rechten. »Wusstest du, dass eine Frau das hat bauen lassen?« Die Pontalba-Gebäude mit ihren kunstvollen schmiedeeisernen Balkonbrüstungen sind weltberühmt; selbst Leute, die noch nie hier waren, haben schon davon gehört. »Sie hieß Micaela und war eine der reichsten jungen Frauen in New Orleans. Micaela Almonester. Das da sind ihre Initialen.« Ich zeige es Marisol; die ganzen Fassaden entlang tauchen die Buchstaben ineinander verschlungen in den Eisenbrüstungen auf.
    »Cool«, sagt Marisol.
    »Sie wurde auch Baronesse de Pontalba genannt. Ihr spanischer Vater hat ihr den Besitz vermacht.« Beide schauen wir hinauf zu den üppigen Farnen und rosa Blühpflanzen auf den Balkonen. »Als sie geheiratet hat, wollte ihr Schwiegervater an ihr Vermögen heran, aber sie hat sich gewehrt.«
    »Und dann?«
    »Hat er auf sie geschossen.«
    Sie horcht auf. »Nein. Ehrlich?«
    »Vier Schüsse in die Brust, mit seinen Duellpistolen. Drüben in Frankreich. Und ihre Hände sind auch getroffen worden. Die Knochen in ihren Fingern waren zerschmettert.«
    »Iih.«
    »Aber sie hat überlebt, und er hat sich – heißt es jedenfalls – mit denselben Pistolen umgebracht. Manche behaupten auch, dass sie es geschafft hat, an die Pistolen heranzukommen; dass sie ihn umgebracht und dann ihre eigenen Hände kaputt geschossen hat, damit niemand sie mit der Tat in Verbindung bringt.«
    »Iih. Wer macht denn so was?«
    Ich schaue sie an. »Eine, die schlau ist.«
    »Hat sie ihr Geld denn behalten können?«
    Mir stockt der Atem. Fünfzig Meter von uns entfernt stehtBlake Lanusse und starrt zu uns herüber. Jedenfalls ein Mann, der haargenau so aussieht wie Blake Lanusse. Ich bin nicht ganz sicher. Die Sonne blendet, und hier sind so viele Leute unterwegs. Blinzelnd schaue ich noch einmal hin. Das ist das dunkle Haar von Blake Lanusse, das sind sein Gesicht und seine füllige, gebeugte Gestalt. Die hellen Augen sind von einer Sonnenbrille verdeckt. Panik ergreift mich, mein Magen krampft sich zusammen, und ich schiebe mich instinktiv zwischen den weit weg stehenden Mann und Marisol, um ihm die Sicht auf sie zu versperren.
    »Und? Hat sie nun?«
    »Warte.« Ich lege ihr eine Hand auf die Schulter und schaue sie kurz an. Als ich mich wieder nach ihm umdrehe, ist er weg. Ich scanne die Menschenmenge, suche die Umgebung der Stelle ab, an der er gestanden hat. Aber falls das Blake Lanusse war – falls ich mir nicht etwas eingebildet habe –, hat er sich in Luft aufgelöst.
    »Was ist?«
    » Nada, mi’ja .« Ich zwinge mich zu lächeln. »Wo waren wir stehen geblieben?«
    »Ich habe gefragt, ob die Frau ihr Geld behalten hat.«
    »Am Ende hat sie das, ja.« Ich bin schweißgebadet. Hastig fahre ich mir über die Stirn und versuche mich auf das Ende der Geschichte zu konzentrieren. Von allen Seiten plärrt uns Dampforgelmusik entgegen wie der Soundtrack zu einem clownesken Albtraum. Ich versuche ruhiger zu atmen. Als ich Blake Lanusse vor ein paar Tagen nachgegangen bin, sind die beiden Mädchen, denen er seinerseits vom Ursulinerinnenkloster an gefolgt ist, hierhergekommen, zu den Pontalba Apartments. Das ist sein Revier.
    Marisol sieht mich stirnrunzelnd an. » Y qué mas? «
    »Und dann hat sie ihren Ehemann verlassen und ist wieder hierhergekommen.« Mein Blick wandert immer noch hin und her wie ein Suchscheinwerfer. »Sie wollte ihren Reichtum dafür einsetzen, dass die Stadt schöner wird, deshalb hat sie diealten Holzhäuser, die vorher hier standen, abreißen lassen und auf beiden Seiten des Platzes diese Klinkerbauten hingesetzt.« Frühe Gentrifizierung.
    Von Blake Lanusse keine Spur. Ich lockere meinen Griff um Marisols Schulter. »Heute sind die Pontalba Apartments ein Wahrzeichen.« Die Leute zahlen ein Vermögen dafür, hier wohnen oder eine der Ladenflächen im Erdgeschoss mieten zu können. »So ist die Baronesse vom Opfer zur mutigen Leitfigur geworden.«
    »Genau«, sagt Marisol. »Respekt.« Ich verkneife mir ein Lächeln.
    Wir wenden uns nach links in die Chartres Street und kommen schnell zur St. Louis Cathedral mit ihren drei hellen Türmen, die in den blauen Himmel ragen. Allein zu ihnen aufzuschauen

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