Toedlicher Sumpf
ich dir doch gesagt.«
Wir trinken und kauen, schauen den anderen Leuten zu, lassen es uns gutgehen.
»Was bist du nun eigentlich«, fragt sie, als der Kakao halb getrunken ist.
»Reporterin. Ich arbeite ...«
»Nein, ich meine, was du bist! Jedenfalls keine Mexikanerin.«
»Ach so. Kubanerin.«
»Was ist das?«
»Kuba ist ein Land. Eine Insel in der Karibik.«
»So mit Palmen und allem?«
»Jep. Palmen, Strände, Berge, Städte. Ein sehr altes Land. Weißt du, wer Christoph Kolumbus war?«
»Logisch.«
»Der ist nach seiner ersten Überfahrt dort gelandet.«
Das beeindruckt sie nicht. »Warst du mal da?«
»Nein. Meine Mutter ist schon vor meiner Geburt hierhergekommen.«
»Würdest du nicht gern mal hinfahren und es dir ansehen?«
»Amerikaner dürfen da nicht hin.«
»Echt? Wieso nicht?«
Puh. Wie soll man einem Kind, das nach dem Fall der Berliner Mauer geboren ist, auf die Schnelle Kommunismus, Domino-Theorie, Kuba-Krise und die Geschehnisse in der Schweinebucht erklären? Wie das Embargo gegen ein armes, widerständiges Land, das für die Vereinigten Staaten keinerlei Gefahr darstellt?
»Das ist eine lange Geschichte. Hat mit Politik zu tun. In Kuba ist schon lange und scheinbar für immer eine völlig andere Regierung am Ruder. Selbst die Leute im Land sind mit der eigenen Regierung nicht einverstanden.«
»Also kann niemand nach Kuba fahren? Nur die Kubaner, die da leben?«
»Doch, aus der ganzen Welt reisen Leute nach Kuba. Es gibt viel Tourismus da, wie hier in New Orleans. Alle Welt kann hinfahren, nur Bürger der USA nicht.«
»Aha«, sagt sie und legt den Kopf in den Nacken, um an die letzten Tropfen Kakao heranzukommen. Schließlich schluckt sie und knallt die Tasse auf den Tisch. »Ich dachte, das hier wär das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.«
Wir lassen Geld auf dem Tisch zurück und gehen – verräterische weiße Spuren auf den T-Shirts und begleitet von Pennies from Heaven , das jemand auf dem Saxofon spielt – weiter die Decatur Street entlang.
»Hey, cool!« Sie zeigt nach oben. Wir bleiben stehen, um Jeanne d’Arc zu bewundern, die Jungfrau von Orléans, die golden im Sonnenlicht funkelt.
Überall in der Stadt gibt es dunkle, verwitterte Reiterstandbilder zu besichtigen, die Eroberer: Bienville, die Generäle Lee und Beauregard, Jefferson Davis, Bernardo de Galvez.
Aber hier, Ecke St. Philip und Decatur, erstrahlt etwas abseits vom Weg eine junge Frau mit Schwert in leuchtendem Gold. Die heilige Johanna. Ihr goldenes Pferd setzt zum Sprung an, und die zweigeteilte Standarte weht über ihrem Kopf wie eine gespaltene Zunge.
Diese Art von Frau verehren wir hier. Sie hatte Visionen und ist entschlossen in den Krieg gezogen.
Ich zeige Marisol den Latrobe Park, eine kleine, gepflegte Zuflucht, wo sämtliche Wege mit Schieferplatten ausgelegt sind. Wir lassen uns auf einer bequemen Bank nieder. Hier gibt es keine Dornen oder Trennstreifen auf den Bänken, die verhindern sollen, dass darauf jemand schläft: Wir sind in New Orleans, der Stadt des Müßiggangs. Tatsächlich sitzen ein paar Bänke weiter zwei alte Männer und halten, beide mit auf die Brust gesacktem Kinn, ein Nickerchen. Eine alte Eiche und eine riesige Magnolie spenden genug Schatten für uns alle, und der Springbrunnen plätschert beruhigend vor sich hin. Auf einer anderen Bank sitzt, die Ellbogen auf die Knie gestützt, auch ein Alter, von dessen Zigarre schwache süßliche Schwaden zu uns herüberwehen. Aus seinen Collegeschuhen ragen nackte braune Knöchel. Von irgendwo weiter weg dringen Fetzen von What a Wonderful World zu uns, gespielt von einer Live-Band.
»Und hier können wir einfach so sitzen, das kostet nichts?«
»Ja, schön, oder?« Das hier ist etwas anderes als der öde, heiße Parkplatz vor ihrem Wohnblock in Metairie.
Als sie genug hat, gehen wir die Decatur zurück bis zum Jackson Square. Dort biegen wir rechts in die St. Ann Street ein und schlendern an den Ständen der Straßenhändler vorbei: an Ölbildern mit schrägen, surrealen Quarter-Szenen, die den Eindruck erwecken, der Künstler habe sie im Absinth-Rausch gemalt; den Karikaturisten, die sich darum reißen, dich für dreißig Dollar völlig überzogen zu porträtieren; den Wahrsagern, Tarotkarten- und Handlesern; den Leuten, die Schmuck, Federn und Perlen anbieten; und einem, der sich auf Kohlezeichnungen von Brangelina spezialisiert hat, dem neuesten Schutzheiligenduo der Stadt. Ein paar junge Männer breakdancen zu
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