Toedlicher Sumpf
zerstampften Kartoffelinneren und Oliven gefüllt und dann frittiert worden ist. Delicioso .
Nur habe ich keinen großen Appetit. Meine bisherigen Nachforschungen haben nahezu ausschließlich den Tätern gegolten – ihrer Psyche, ihren Problemen, ihren Rechten, der Frage, wie sie wieder in die Gesellschaft integriert werden –, den Nachmittag heute aber habe ich für die Opfer reserviert. Gwyneth Bigelows Bemerkung verfolgt mich immer noch: Was sie tun, zerstört Leben – genauso wie Mord. Es zerstört Seelen. Deshalb will ich mich heute mit den langfristigen Folgen sexueller Gewalt beschäftigen, und das steigert meinen Appetit nicht gerade. Zum Nachtisch lasse ich mir eine kleine Portion schwarzer plátanos kommen, süß und weich, und dazu einen Mojito, den zu testen ich als meine kulturelle Pflicht betrachte.
Wieder am Schreibtisch, gebe ich in die entsprechende Maske meine Tulane-Alumni-Nummer ein, logge mich in die Universitätsdatenbank ein, überfliege mehrere Artikel zum Thema und sehe schnell, dass Gwyneth Bigelow in gewisser Weise recht hat. Eine Vergewaltigung kann auf Jahre hinaus Folgen nach sich ziehen, und die Auswirkungen von Kindesmissbrauch können bis ins Erwachsenenalter andauern. 94 Prozent aller Vergewaltigungsopfer, so erfahre ich, zeigen unmittelbar nach der Tat Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung – Schock- und Angstzustände, Benommenheit, Verwirrtheit. Ihre Vorstellungen von Sicherheit, Macht, Vertrauen und Intimität sind über den Haufen geworfen. Sie glauben nicht mehr daran, dass es so etwas wie Sicherheit gibt oder dass das Leben einen Sinn hat. Sie durchleben Scham und Schuldgefühle, halten sich für minderwertig, machen sich selbst Vorwürfe und entwickeln ein tiefes Misstrauen gegenüber Männern schlechthin.
Bei den meisten Frauen legen diese Symptome sich nach etwa drei Monaten, aber bei ungefähr einem Viertel der Opferdauern sie an und verstärken sich sogar. Diese Frauen leiden unter Ängsten bis hin zu Panikattacken, unter Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Schreckhaftigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und Gefühlen der Entfremdung und Einsamkeit. Einige entwickeln schwere Depressionen, andere eine Drogen- oder Alkoholabhängigkeit. Sie haben in ihrer Sexualität mit Funktionsstörungen zu kämpfen wie auch insgesamt mit gesundheitlichen Problemen, mit chronischen Schmerzen zum Beispiel, mit Verdauungsstörungen oder anhaltenden Kopfschmerzen. Jede Fünfte versucht, sich das Leben zu nehmen.
Bei den Opfern von so genannter Pädophilie sieht es nicht besser aus. Menschen, die als Kinder belästigt oder missbraucht worden sind, können Essstörungen entwickeln, Depressionen, chronische Angst, das Gefühl, nichts wert zu sein, sowie eine Abhängigkeit von Substanzen aller Art. Und all das machen sie auch noch sich selbst zum Vorwurf.
Gibt es keine therapeutische Intervention, können die Folgen einer Vergewaltigung sich zur lebenslänglichen Strafe auswachsen. Oder zur Todesstrafe.
Warum habe ich von all dem noch nie gehört? Weder im College noch in den Nachrichten? Das Verbrechen selbst begegnet uns tagtäglich zur Primetime im Fernsehen, aber über die hässlichen Langzeitfolgen redet kein Mensch.
Ich notiere einiges und fasse die Informationen für die Times-Picayune -Leser in klaren, überschaubaren Absätzen zusammen. Dann mache ich für heute Schluss und schaue nur noch mal in die Online-Lokalnachrichten, wo ich nichts anderes erwarte als Meldungen über hohe Luftfeuchtigkeit und Korruption, doch es wird etwas berichtet, das für meine Story relevant ist: Der Fall Kennedy soll demnächst vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt werden.
Patrick Kennedy, in New Orleans ansässig, ist vom Staat Louisiana zum Tode verurteilt worden, weil er seine acht Jahre alte Stieftochter vergewaltigt hat. Da die Todesstrafe heutzutage aber außer in Mordfällen kaum noch vollstreckt wird,durchläuft Kennedys Fall sämtliche Instanzen bis ganz nach oben.
Während meiner Zeit am College hat die Amnesty-International-Sektion der Tulane University eine große Podiumsdiskussion zum Thema Rassismus und Ungerechtigkeit an den Gerichten veranstaltet, und seitdem bin ich immer gegen die Todesstrafe gewesen. Dort wurde von Schwarzen berichtet, die Jahre nachdem eine durchweg weiße Jury sie auf den elektrischen Stuhl geschickt hatte, durch neues Beweismaterial vollständig entlastet worden waren. Inzwischen hatte man durch DNA-Tests und andere neue Methoden die
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