Toedlicher Sumpf
wichtig.«
»Es ist der Schlüssel.« Sie nickt energisch. Und führt weiter aus, dass viele Opfer von Sexualstraftaten unter Ängsten und Depressionen leiden und in der Folge dazu neigen, Süchte oder auch Essstörungen zu entwickeln, um sich zu betäuben. »Und sie haben mit weiteren Problemen zu kämpfen, mit Panikattacken, Albträumen, extremen Schreckreaktionen, plötzlichen Flashbacks und so weiter – das alles kann Teil einer posttraumatischen Belastungsstörung sein. Und dann ist da natürlich noch das Thema Sex.«
»Was ist damit? Ich meine, sprechen Sie mit Ihren Patientinnen auch über deren sexuelle Probleme?«
»Aber sicher, das ist unbedingt notwendig! Die meisten Vergewaltigungsopfer sind in ihrer Erregbarkeit gestört oder haben ein deutlich gemindertes Interesse an Sex. Manche entwickeln regelrechte Angst vor Sex. Da helfe ich. Ein einzelner Übergriff soll sie nicht für den Rest ihres Lebens um jegliche Lust bringen.«
Ich mache mir Notizen. »Fahren Sie fort.«
»Bei denen, die als Kind missbraucht worden sind, gibt es in der Regel zwei ganz unterschiedliche Reaktionen auf Sexualität. Die einen – Frauen oder natürlich auch Männer – machen komplett dicht und lehnen in dem Bemühen, sich selbst zu schützen, sexuellen Kontakt jeglicher Art strikt ab.«
»Inwiefern ›sich selbst zu schützen‹?«
»Vor den Erinnerungen, den Flashbacks, den Schrecken, die damals mit den sexuellen Handlungen einhergingen. Und glauben Sie mir, das kann einen Menschen vollkommen fertigmachen: Man ist mit jemandem intim, den man mag, vielleicht sogar liebt, und plötzlich holen einen diese Bilder ein, erinnern sich die Muskeln an das Gefühl, gezwungen zu werden. So etwas passiert auch erwachsenen Vergewaltigungsopfern. Manche Frauen haben sogar akustische Halluzinationen – sie hören plötzlich die Stimme des Vergewaltigers.«
Ich versuche einen Scherz. »Das Date kann man wohl abschreiben.«
»Genau. Versuchen Sie mal, das alles Ihrem Freund – Ihrer Freundin – zu erklären, wenn Sie es selbst noch nicht einmal verstehen. Es ist zu unheimlich, zu verstörend – deshalb meiden viele dieser Menschen Sex einfach ganz und gar.«
»Sie sprachen von zwei unterschiedlichen Reaktionen.«
»Ja, die andere ist das genaue Gegenteil. Manche dieser Opfer suchen immer neue exzessive sexuelle Begegnungen, weil sie unbewusst hoffen, auf diese Weise Kontrolle – oder Herrschaft – über den Sex zu erlangen. Sie wollen eine Situation kontrollieren, der sie früher hilflos ausgeliefert waren und in der ihnen wehgetan wurde. Leider verdammt die Gesellschaft es als Promiskuität, wenn jemand auf diese Art versucht, über seine Sexualität zu bestimmen.«
»Sie meinen, solche Frauen werden als Schlampen beschimpft.«
»Ja, wo sie doch eigentlich Hilfe brauchen. Diese Strategie rächt sich ohnehin oft. Es kommt vor, dass solche Menschen, nachdem ihre sexuellen Grenzen einmal verletzt worden sind, sich selbstzerstörerischen Praktiken zuwenden oder sogar Umgang mit gefährlichen Partnern haben und neuerlich Schaden nehmen.«
Ich starre auf den unerschütterlichen Sandstein. Rote und goldene Furchen durchziehen die Felsen.
»Es handelt sich um eine ernste seelische Verletzung«, fährt Dr. Collins fort, »und einen einfachen Weg zur Heilung gibt es nicht. Diese Menschen haben Dinge durchgemacht, die niemand je durchmachen sollte, und wenn sie anfangen, ihr Trauma auszuagieren, werden sie gegeißelt und ausgegrenzt. Stattdessen müssen wir ihnen helfen, zu einem normalen Leben zurückzufinden, einem Leben in Mitgefühl und Vertrauen.«
Ich nicke. Alles, was sie sagt, leuchtet ein. »Können Sie kurz beschreiben, was Sie tun, um diesen Menschen zu helfen?«
»Sehr gern.« Lächelnd steht Dr. Collins auf und dimmt das Licht, bis es angenehm dämmrig ist. »Wären Sie eine Klientin, wäre die Atmosphäre im Raum jetzt so. Das hilft den meistenKlienten, freier zu sprechen.« Nun dreht sie das Licht wieder hell. »Und das hier nutzen wir auch.« Damit bückt sie sich unter ihren Schreibtisch, zieht eine Plastikwanne mit Sand hervor, schiebt sie in die Mitte des Raums und lehnt sich wieder zurück. In dem Sand stecken alle möglichen Action-Figuren, Murmeln, Kunststofftiere.
Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. »Wozu genau?«
Wieder lächelt sie. »Die wenigsten meiner Klienten sind darin geübt, sich verbal auszudrücken. Deshalb bitte ich sie, aus diesen Figuren Szenarien zu bauen, und über die sprechen
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