Toedlicher Sumpf
einem Kind auf die Nerven gegangen sind, in meiner Person vereint.
»Jaaa«, sagt sie.
Ich versuche es anders.
»Wusstest du, dass er von hier ist?«
»Static Major? Der ist tot.«
»Das weiß ich. Ich meine Lil Wayne.«
»Echt? Aus New Orleans?«
»Ja. Drüben aus Hollygrove.«
»Echt? Können wir da irgendwann mal hinfahren?«
Mist. Hollygrove ist nicht gerade sicher, und ich bin für sie verantwortlich. »Mal sehen.« Mit etwas Glück vergisst sie es wieder.
Der Weg über den I-10 zieht sich lang hin, ist eigentlich ein Umweg, aber irgendetwas in mir möchte nicht mit ihr an der Tulane vorbeifahren und sagen: Hier habe ich studiert. Es hat mit den riesigen weißen Gebäuden zu tun, der Grandezza, den gepflegten Rasenflächen, den jungen Typen, die sich, einen hellen Pullover lässig um die Schultern gelegt wie im Modekatalog, in Grüppchen hier treffen, um Krocket zu spielen. Um all dem auszuweichen, fahre ich den weiteren Weg. Im Radio beginnt ein neues Stück mit einem weichen Frauen-Chorus, unddann setzt Wyclef Jean mit sorgenvoller Stimme ein. »Sweetest Girl. Some live for the bill, some kill for the bill.«
Schließlich verlassen wir den Highway und biegen in die Magazine Street ein. Stück für Stück kriecht der Pontiac im dichten Verkehr vorwärts, vorbei an den zahllosen kleinen Boutiquen, den in Pastellfarben getünchten Häusern und Cottages und den betuchten Einheimischen und Touristen, die die Fußwege bevölkern. Mit unverhohlener Faszination starrt Marisol zu den Schaufenstern hinüber.
Wir kommen am New Orleans Lawn Tennis Club vorbei, wo nicht etwa ein schlichtes Netz verirrte Bälle auffängt. Stattdessen schützt ein hoher Zaun aus lückenlos aneinandergefügten Brettern die Spieler davor, dass der Pöbel zuschaut, wie sie nach den Bällen hechten und schlagen. Nach dem Tennisclub kommt Poydras Home, die pfirsichrosafarbene Seniorenwohnanlage für Megareiche mit ihren großzügigen Grünanlagen. Zu beiden Seiten ist der Block durch Tore und schwarze Security-Leute gesichert, beide Seiten werden von schwarzem Servicepersonal und schwarzen Gärtnern sauber gehalten und gepflegt. Calinda witzelt immer, dass man reif für Poydras Home ist, sobald man nebenan den Tennisschläger nicht mehr schwingen kann. Die reichen Weißen ziehen einfach ein Haus weiter. »Singin’ dollar dollar bill, y’all/Dollar dollar bill, y’all.«
» Mira «, sage ich, als wir in die schattige Zufahrt einbiegen. Zu beiden Seiten des Zoo-Eingangs lagern Bronzelöwen, deren Anblick mich jedes Mal in eine leise Aufregung versetzt. »She used to be, she used to be the sweetest girl.«
»Hmh«, erwidert Marisol unbeeindruckt.
Es ist Samstagnachmittag, die Sonne scheint. Dementsprechend voll ist der Parkplatz, so dass wir das Auto eine Ecke vom Eingang weg abstellen müssen.
»Los geht’s«, sage ich, als ich den Motor ausmache. Sie verdreht die Augen. »Hier.« Ich reiche ihr die Tube Sonnenschutzcreme aus dem Handschuhfach. »Fürs Gesicht.« Seufzend cremt sie sich ein.
Doch kaum haben wir die Wanderung zum Eingang absolviert, lebt sie auf. Der Zoo ist schön und raffiniert angelegt – etwas fürs Auge, durchdacht, elegant –, eben keine Kleinkin-der-Oase und schon gar kein Ort des Elends, an dem Tiere in zu engen Käfigen schmachten. Auf einmal reckt Marisol den Hals und schaut sich interessiert um. Ich bin erleichtert. Noch bevor ich bezahlt habe, sehen wir eine Flamingogruppe, und Marisol kann es kaum erwarten, näher heranzugehen. Zwölf fünfzig für mich, sieben Dollar fünfzig für sie – für ihre ganze Familie würde der Eintritt sechzig Dollar kosten, und dazu kämen noch Essen und Getränke für sieben. Kein Wunder, dass sie noch nie hier waren.
Gleich hinter dem Eingang gebe ich ihr meine Digitalkamera – okay, die Digitalkamera der Times-Picayune –, und sie grinst. »Echt?«
»Nur zu!«
Am Elefantengehege erklärt ein dickbäuchiger, unrasierter Typ in Kakihemd und Shorts – er erinnert entfernt an den Crocodile Hunter Steve Irwin –, Elefanten seien die ursprünglichen »Allradantrieb-Transporter« und die ursprünglichen »Panzer« gewesen. Und dann hören wir, wie Hannibal die Alpen überquert hat. Während ganze Bananenstauden an die Indische Elefantenkuh Maggie verfüttert werden, frage ich mich, wie sie es wohl fände, wenn sie wüsste, dass sie mit derart utilitaristischen Begriffen bedacht wird. Wir gehen weiter.
Der Amur-Leopard blinzelt von seiner hohen Klippe zu uns
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