Toedlicher Sumpf
Collins; ich weiß, meine Leser werden mit großem Interesse lesen, was Sie mir erzählt haben. Ich würde Sie gern noch fragen, ob Sie sagen wollen, was Sie überhaupt zu dieser Art der therapeutischen Arbeit gebracht hat.«
Ihr Blick sagt: Willst du mich für dumm verkaufen, Kleine?
»Kommen Sie, Sie wissen, warum ich das mache.« Sie fixiert mich.
»Deuten Sie an, Dr. Collins, dass Sie Opfer einer Sexualstraftat waren?«
»Natürlich war ich das. Und zum College bin ich praktisch gekrochen, so wenig habe ich mir zugetraut. Aber das, was man lernt, kann einen verändern.« Sie fängt an zu nicken und hört gar nicht wieder auf. »Als Erstsemester an der Xavier University habe ich im Beratungszentrum Unterstützung bekommen. Ich bin hingegangen, weil ich Schwierigkeiten hatte, mich auf meine Hausaufgaben zu konzentrieren. KönnenSie sich so was vorstellen? Sechs volle Jahre lang war ich von meinem Onkel missbraucht worden, und ich bin zur Beratung gegangen, weil ich in Analysis eine schlechte Zensur hatte. Diese Art von Druck machen viele Opfer sich selbst, weil sie alles unter dem Deckel halten wollen, weil sie es hinter sich lassen und allein damit fertig werden wollen.« Jetzt schüttelt sie den Kopf. »Egal, ich habe Hilfe bekommen, und das hat mir ein neues Leben eröffnet. Mir war schnell klar, dass ich meinerseits anderen helfen wollte, anderen Mädchen.«
Normalerweise hätte ich gedacht: Volltreffer . Die große Enthüllung.
Aber ich mag Shiduri Collins; ich möchte sie vor der Neugier der Öffentlichkeit schützen.
»Sind Sie sicher, dass es in Ordnung ist, wenn ich das in die Geschichte aufnehme?«
»Nun, es wird vielleicht den einen oder anderen überraschen, aber das geht in Ordnung.« Sie holt tief Luft. »Ja, dieser Schritt ist jetzt mal fällig.« Damit steht sie auf, und ich springe ebenfalls auf, schalte das Diktiergerät ab und nehme meine Tasche.
An der Tür gibt Shiduri Collins mir noch einmal die Hand. Es ist ein kräftiger, warmer Händedruck, etwas, woran man sich halten kann. Robust, aber freundlich; ein Mensch, den man gern an seiner Seite weiß.
»Wie gesagt«, wiederholt sie zum Abschied, »darüber sprechen ist eine politische Tat. So wird es für die Nächste viel einfacher.«
Ich gehe die Treppen hinunter und zu meinem Wagen. Der Speicher des Diktiergeräts ist voll.
21
Punkt eins am Samstag fahre ich bei Marisols Wohnblock in Metairie vor. Sie sitzt schon auf der Treppe und wartet.
»He, chica! «, rufe ich aus dem offenen Fenster und zwinge mich zu einer Fröhlichkeit, die ich nicht empfinde. »Worauf hast du heute Lust?«
Sie zuckt die Achseln und steigt ein.
»Also, ich hab gedacht – wie wär’s mit dem Zoo?«
Voller Skepsis schaut sie mich an.
»Ach komm. Das ist nicht nur was für Kleinkinder. Wenn New Orleans überhaupt was zu bieten hat, dann ist es ein toller Zoo.«
Sie zieht eine Braue hoch und fixiert mich mit ansonsten regloser Miene.
»Im Ernst. Er ist so schön, dass manche Erwachsene auch ganz für sich hingehen.«
Die Braue klettert einen Millimeter höher, es sieht nach Mitleid aus.
»Okay, wie wär’s damit? Wie wär’s, wenn du nicht einfach als Kind in den Zoo gehst, sondern als Zoo-Testerin? Zoo-Kritikerin? Wir schauen uns alles an, und dann kannst du mir erzählen, ob der Zoo etwas taugt oder nicht.«
Ihre Miene hellt sich auf. »Okay.«
Wir verlassen den Parkplatz und fädeln uns in den Verkehr auf dem Causeway Boulevard ein. Sie zeigt mit einem strafenden Finger auf das Autoradio, das auf den Nachrichtensender eingestellt ist. »Kann ich umschalten?«
»Klar.« Sie tippt den Sendersuchknopf so lange an, bis sie Hip-Hop gefunden hat.
»Mexikanische Musik magst du nicht? Norteño oder so?«
»Psst. So was hört mein Vater.« Ihre verächtliche Miene und die Handbewegung lassen keinen Zweifel daran, dass kaum eine Musik lahmer sein könnte als norteño . Auf dem Weg den I-10 hinunter hören wir Wyclef Jean, Rihanna und Chris Brown. Als Lil Waynes Lollipop läuft, spähe ich kurz zu Marisol hinüber. Mit ausdrucksloser Miene schaut sie aus dem Fenster und singt leise mit. »Wanna lic-lic-lic-lick me like a lollipop.« Es hat etwas leicht Irres, eine Zwölfjährige diesen Text singen zu sehen. »C-Call me, s-so I can get it juicy for ya.«
»Stopp mal kurz. Weißt du eigentlich, worum es in dem Stück geht?«
Sie verdreht die Augen, als hätten sich plötzlich alle Lehrer, alle Schuldirektoren, alle langweiligen Erwachsenen, die je
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