Toedlicher Sumpf
locker, und schließlich klettert Bento in die Kutsche und quetscht sich zwischen sie und mich.
»Und was machst du so?«, fragt sie übergangslos.
Mir wird bewusst, dass ich keine Ahnung habe, was er macht. Ich habe mich das noch nicht einmal gefragt. Ich weiß nur, dass er ein gesegneter und verfluchter Sohn ist, gern Sumpfgras pflanzt und vögelt wie der Teufel persönlich. Und nun sitzt er hier und wird von meinen Freundinnen unter die Lupe genommen.
»Ich arbeite an der UNO. Als Küsten-Geomorphologe«, erklärt er förmlich. An der University of New Orleans.
»Ach, das ist spannend«, sagt Fabi. »Erzähl doch mal, was tust du da?« Auch eine von diesen Reiche-Leute-Strategien. Ich hätte gesagt: Was zum Henker ist ein Küsten-Geo-was?
Bento erklärt es. Küsten-Geomorphologie ist, wie sich herausstellt, die Beschäftigung mit den landschaftlichen Gegebenheiten einer Küstenregion – mit den Auswirkungen natürlicher Veränderungsprozesse wie der Erosion oder der Ansammlung von Sediment im Fluss, oder aber den Folgen menschlichenHandelns. Letztlich wird untersucht, wie all diese Faktoren zusammengenommen die jeweilige Landschaft über die Jahre hinweg beeinflussen und formen. Im Prinzip geht es darum zu verstehen, wie ein komplexes System funktioniert, damit man unterstützend eingreifen kann. Ich dachte, er ist so etwas wie ein Freizeit-Gutmensch, der sich um die Marschen sorgt, aber das ist tatsächlich seine Vollzeitbeschäftigung.
Während wir dasitzen und darauf warten, dass die Gruppe von vier Kutschen sich formiert und die Hochzeitsparade beginnt, spüre ich Bentos Oberschenkel, der sich an meinen presst. Ich fühle seinen Hüftknochen und den harten Muskelstrang. Und das bedeutet, dass Fabi das Gleiche spürt.
»Stammst du aus New Orleans?« Sie weiß doch genau, dass er das nicht tut. Es ist ihre höfliche Art zu sagen: Ich kann deinen Akzent nicht zuordnen. Würdest du bitte deine Zugehörigkeit deutlich machen, damit ich weiß, wie ich dich sozial einzustufen habe?
»Nein. Aus Spanien.«
»Ach, wunderbar!« Sie lächelt zu mir herüber und reißt vielsagend die Augen auf. Was ist, kriegt er jetzt als Europäer Extrapunkte? »Barcelona?«, fragt sie.
»Nein.«
»Madrid?« Sie zählt die Städte auf, in denen sie schon gewesen ist. Ich schaue zu Calinda hinüber und verdrehe die Augen.
»Ich komme aus Lugo, das liegt in Galizien.«
»Oh, Galizien, schön!« Was bedeutet, dass sie über die Gegend rein gar nichts weiß. Soweit ich mich aus dem Spanischunterricht am College erinnere, ist Galizien eine grüne Bergregion, die mehr Ähnlichkeit mit Irland hat als mit dem übrigen heißen, sonnengegerbten Spanien.
»Ja, meine Heimat ist schön.« Die Kutsche setzt sich in Bewegung.
»Und was bringt dich hierher, zu uns?« Mein Gott. Sie wird ihn während der ganzen Fahrt weiter löchern.
»Die Universität hier hat mich nach Katrina um Hilfe gebeten.Ich habe mich in meinem Studium in Amsterdam mit Sumpflandschaften, Küsten und Wasser-Management-Systemen beschäftigt.«
»Interessant! Dann bist du ja genau der Fachmann, den wir hier brauchen.«
Er überlegt einen Moment, vielleicht auch, weil ihm die passenden englischen Wörter fehlen. Warm drückt sich seine Hüfte an meine, während wir über die Pflastersteine holpern. »Wenn man sieht, wie eine Katastrophe ihren Lauf nimmt, ist es ethisch nicht vertretbar, tatenlos zuzusehen. Ich kannte New Orleans aus dem Fernsehen. Sie ist so schön.« Er dreht sich zu mir um und lächelt. »Französisch, spanisch, afrikanisch, amerikanisch. So ist keine andere Stadt.« Nun wendet er sich wieder an Fabi. »Man kann nicht mit ansehen, wie eine solche Stadt sich selbst zerstört. Da ist man aufgerufen zu helfen.«
»Das klingt wunderbar«, säuselt Fabi.
»Amerika lernt jetzt, auf die Umwelt zu achten«, fährt er fort. »Dass es nicht nur ums Öl geht. Es gibt Leute, die würden gern in den Sumpfgebieten bohren, aber Amerika lernt gerade, dass diese Gebiete selbst viel kostbarer sind.«
»Ach komm«, unterbreche ich ihn. »Das ist doch naiv. Siehst du, dass die Stadt Windmühlen aufstellt? Nein. New Orleans ist vom Öl abhängig wie eh und je. Die Leute wollen ihren alten Lebensstil wiederhaben.«
Bento lächelt nur. »Du kannst Dinge nicht einfach aufgeben, nur weil sie beschädigt worden sind. Du musst sie reparieren. Und du kannst nicht an der Vergangenheit kleben. Du musst dich verändern.«
»Und hast du hier schon ein paar nette Leute
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