Toedlicher Sumpf
Als ich mich vorbeuge und ein brennendes Streichholz an das Papierbündel halte, dauert es einen Moment, doch dann flackert und brennt es lichterloh. Die Flammen lecken am Papier, und bald zerfallen die gezackten Ränder meiner Einschusslöcher zu Asche. Sicherheitshalber werfe ich noch die Fotos von Blake Lanusse hinterher, und als alles verbrannt ist, spüle ich den schwarzen Haufen weg.
Nachdem ich mir unter der Dusche Hände und Arme gereinigt habe, stecke ich mein Haar hoch und bereite mir ein Bad nach einem Rezept, das meine Mutter mir vor langer Zeit verraten hat und das ich noch nie probiert habe. Honig kommt ins heiße Wasser, Weihrauch, gehacktes Basilikum; zwei Eier werden roh aufgeschlagen und sinken in die Tiefe, und auf die Wasseroberfläche streue ich frische Blütenblätter von Gardenien. Schließlich tauche ich ein in das warme, aromatische Nass, lehne mich zurück, mache die Augen zu, halte still und lasse die guten und schützenden Kräfte auf mich wirken. Wenn das alles wirklich stimmt, wenn Salben und Tinkturen tatsächlich über magische Kräfte verfügen, wie meine Mutter glaubt ... Ich gleite so tief in die Wanne, dass am Ende nur noch mein Gesicht an der Oberfläche ist.
In der Sage – der Legende, der Geschichte –, die meine Mutter immer erzählt, fuhren drei Sklaven in einem Boot hinaus. 1606 (oder 1604, 1608 oder 1613, je nachdem, welche Version erzählt wird) kam vor der nördlichen Küste der kubanischen Provinz Oriente ein Sturm auf, wütete in der Bahía de Nipe und erwischte die drei ohne jede Vorwarnung. Die Wellen waren riesig, das Boot klein. Gerade als die Männer zu ertrinken drohten, erschien die braune Jungfrau, die sanfte Madonna. Die Wellen legten sich. Die Männer waren gerettet.
Manche sagen, die Männer seien aus einer spanischen Kupfermine gekommen. Sie seien, heißt es, an der Küste gewesen, weil sie für das Pökeln von Fleisch Salz holen wollten. Manche sagen, bei den Sklaven habe es sich um zwei Indianer gehandelt – also Ciboney, Guanajuatabey oder Taínos –, die einen etwa zehnjährigen afrikanischen Jungen bei sich gehabt hätten. In anderen Versionen der Geschichte waren die drei Fischer.
Manche sagen, es hat die drei draußen in der Bucht erwischt; der Sturm hat tödliche Wellen aufgetürmt, sie haben die Jungfrau Maria angerufen – und siehe, der Sturm ließ nach, die Wellen glätteten sich, und es erschien ihnen Maria persönlich und sagte: »Ich bin die Jungfrau der Wohltätigkeit.« Vielleicht stand das aber auch auf der Tafel geschrieben, die sie in den Händen hielt. Da gehen die Erzählungen auseinander.
In wieder einer anderen Version haben es die beiden Männer und der Junge trotz des aufkommenden Sturms noch sicher ans Ufer geschafft – aber am nächsten Tag, als das Wasser wieder ruhig war, erblickten sie ein strahlendes Licht, das auf sie zukam. Und als es fast bei ihnen war, sahen sie, dass es eine Madonnenstatue war, die auf den Wellen dahintrieb und unaufhaltsam in die Zukunft getragen wurde. Sie pflückten sie vom Wasser, und Augenzeugen schwören, sie sei nicht nass gewesen, ihr dunkles Gesicht so wenig wie ihre Kleider, der dunkle Jesusknabe in ihrem Arm so wenig wie die goldene Erdkugel, die er in seiner winzigen Hand hielt.
Kaum hatten sie sie geborgen, wurde die kleine Statue in die Berge getragen, in die Nähe von El Cobre, wo die Kupferminen waren. Dort ersetzte sie den offiziellen Patron, den heiligen Jakob. Egal, wie oft Menschenhände sie wieder hinuntertrugen zu der schlichten Hütte, die sie ihr errichtet hatten, jeden Morgen erschien die neue dunkle Jungfrau wieder oben auf dem Gipfel des Cerro de la Cantera , des Steinbruch-Hügels. Störrisch, diese mujer , wie eine Ziege. Sie wusste, wo sie hingehörte. Irgendwann gaben die Menschen schließlich nach und bauten ihr auf dem Berg eine Kirche, die einzige Basilika auf Kuba, eine cremeweiße, dreischiffige Pilgerstätte zwischen Palmen und Agaven.
Zweihundertvierundfünfzig steinerne Stufen den Berg hinauf wurden angelegt, so dass die Leute aus dem Dorf hinaufklettern und die Madonna anbeten konnten – und geklettert sind sie, bis sie oben ankamen und aus der Puste waren, nach Luft schnappten angesichts der grünen Berge, die sich auch da noch um sie her erhoben. Sie trockneten sich die Stirn und bekreuzigten sich und betraten den kühlen blauen Raum, wo sie Schmuck oder andere Gaben zu den blattgoldverzierten Füßen der Jungfrau ablegten.
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