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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
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zerstören . So hat auch Gwyneth Bigelow sexuellen Missbrauch genannt. Nur dass da kein Leichnam ist, der begraben werden will. Sie laufen herum und reden und sind doch innerlich tot. Sie schleppen sich bis ins College. Sie gehen als normal durch. Sie sehen vielleicht aus, als wären sie lebendig, aber das ist eine reine Frage der Technik – wie bei Audubons Zeichnungen. Sie sind aus ihrem Körper geflüchtet, das Gefühl, sicher zu sein in der Welt, ist ihnen für immer geraubt worden, ihr Lebensmut ist vernichtet.
    Kennedys Stieftochter – nur unter dieser Bezeichnung ist sie in der Presse bekannt – ist inzwischen achtzehn. Ihre Angehörigen wollen den Tod von Patrick Kennedy. Eine Cousine von ihr hat im CNN-Interview gesagt, dass die Todesstrafe »Gerechtigkeit« bedeutet. Damit sie nach vorn schauen kann und nicht immer nur zurück. Damit sie nicht damit rechnen muss, ihm eines Tages gegenüberzustehen, wenn sie sich zufällig mal umdreht. Damit er ihr nichts mehr tun kann.«
    Das Gefühl, gejagt zu werden. Ständig. Dem ein Ende zu machen.
    Ich versuche gar nicht mehr zu schlafen. Ich bin hellwach, meine Gedanken überschlagen sich, also mache ich die Lampe wieder an, gehe hinüber zur Kommode und ziehe die Schublade auf, in der ich den Joint von Soline versteckt habe. Das wird dir guttun, egal, was an dir frisst.
    Kurz darauf liege ich auf dem Rücken, inhaliere den süßen Rauch und schaue dem Deckenventilator bei seinen Umdrehungenzu. Aber es beruhigt mich nicht. Die Stimmen in meinem Kopf werden nur umso lauter, reden immer schneller durcheinander. Panik fesselt mich ans Bett. Ich denke, ich muss nur genug rauchen, dann wird es gut.
    Also inhaliere ich und inhaliere, bis der ganze Raum sich dreht, bis die Decke über mir Blasen wirft und ich einschlafe und in chaotische, paranoide Träume falle, an die ich mich nicht erinnern werde.

23
    Am Morgen dusche ich. Schrubbe wie wild an mir herum und wasche mir die Haare, um nur ja keinen Hauch von Dope an mir zu behalten. Ich will gut gekleidet sein, wenn ich Bailey treffe, deshalb entscheide ich mich für ein rotes Tanktop mit Jackett zur üblichen weißen Hose. Meine Nägel glänzen dank Maniküre immer noch. Ich sehe aus, als sei ich auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch.
    Im Auto höre ich Nachrichten. Der Sprecher kündigt für heute ein Gipfeltreffen an. George W. Bush wird den mexikanischen Präsidenten und den kanadischen Premierminister empfangen und bei der Gelegenheit das mexikanische Konsulat in New Orleans wiedereröffnen. Sollte sich etwa am Status der Latinos in der Stadt etwas ändern?
    Es ist erst halb acht, als ich das Gebäude betrete. Mary, die Empfangsdame im Erdgeschoss, stutzt bei meinem Anblick, und oben im Ressort Leben & Mehr zieht Floyd der Droid eine Show ab, indem er umständlich auf die Uhr schaut und die Brauen hochzieht.
    Ich hole meine Reportage hervor, verstaue meine Tasche in der Schreibtischschublade und fahre meinen Rechner hoch. Flüchtig schaue ich die Mails durch; nichts Wichtiges, abgesehen von zwei Aufträgen von Claire: Club-Berichterstattung, reine Routine. Ich drucke die beiden Mails aus und falte sie zusammen, um sie mitzunehmen.
    Das war’s. Länger kann ich es nicht hinauszögern. Ich greife mir meinen Text und atme noch einmal tief durch. Oh bitte, bitte, bitte . Ich gehe an der Grafik-Abteilung vorbei, eine endlose Strecke an verglasten Büros entlang, und denke bei jedem Schritt: Bitte! Bitte finde es gut! Bitte sei zufrieden!
    Ich habe mir die ganze Zeit Baileys Gesicht vorgestellt, seine freudig-überraschte Miene und wie ihm dann – in meiner Fantasie lässt er natürlich alles andere stehen und liegen, um meine Story sofort zu lesen – allmählich dämmert, dass der Text hervorragend ist und ich schnellstmöglich ins Lokal-Ressort versetzt werden muss.
    Der Anblick seines leeren Büros ist eine herbe Enttäuschung. Seine Tür steht offen, aber er ist nicht da, und Margie sitzt auch nicht an ihrem Platz. Ich trete ein und lege die Geschichte in die Mitte der freien Fläche auf seinem Schreibtisch. Dann suche ich mir einen Stift, schreibe Danke auf eine gelbe Haftnotiz und klebe sie oben auf die Story. Als ich aufblicke, sehe ich, dass mehrere Nachrichtenredakteure mich mit Argusaugen beobachten. Ich hebe das Kinn, ziehe die Schultern zurück und gehe meiner Wege.
    Wieder an meinem Schreibtisch, hole ich die Tasche aus der Schublade, stecke die Mails von Claire ein, klappe die Tasche zu und wende

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