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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
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des neunzehnten Jahrhunderts auf wundersame Weise trockengepumpt zu werden. Alles bis auf den Esplanade-Grat.
    Das moderne New Orleans wird gelegentlich als eine Art Schüssel beschrieben, deren Inneres von den umgebenden Deichengeschützt wird – oder auch nicht. Genau genommen entspricht die Topografie der Stadt allerdings eher zwei Schüsseln, die durch eine schmale Linie höher gelegenen Landes miteinander verbunden sind: den Esplanade-Grat. Lange bevor im Jahr 1699 die ersten französischen Siedler eintrafen, wurde der Grat von Eingeborenen – Ouacha und Chaouacha, Okelousa und Opelousa, Quinapisa, Tangipahoa, Yazoo – als Transportweg vom Lake Pontchartrain zum Mississippi genutzt. Sie kannten das Land und verstanden es, hier zu leben. Lange bevor die Franzosen kamen, haben sie hier die Sonne angebetet, ihre Toten weihevoll begraben, Häuser und Tempel gebaut. Kamen die Alligatoren dem Feuer, über dem sie kochten, zu nahe, haben die Kinder gelacht und sie unerschrocken mit Stöcken verscheucht.
    Bevor ihre Welt ausgelöscht wurde, waren sie so freundlich, den Siedlern diesen schmalen Grat trockenen Landes zu zeigen. In dem Maße, in dem die feuchten Gebiete ringsum trockengelegt wurden und die Stadt wuchs, ist die Esplanade Avenue den anderen Straßen in der Umgebung immer ähnlicher geworden, deshalb hatten meine Mutter und ich, als wir unsere Wohnungen bezogen, keine Ahnung, dass wir uns für höher gelegenen Grund und Boden entschieden hatten. Aber als Katrina vorüber war, konnten wir in ein trockenes, unversehrtes Zuhause zurückkehren.
    Wenn ich New Orleans nur mögen würde, wäre meine kleine Wohnung über dem »Fair Grinds« auf lange Sicht ein nettes, sicheres Plätzchen. Aber ich mag es nicht. Das ewige Getue um den Zauber der Stadt nervt mich, die künstliche Dekadenz des Mardi Gras, das kitschige Gerede vom Zauber des Spanischen Mooses. Ich kann keine paillettenbesetzten Masken mehr sehen und keine Voodoo-Puppen, ich habe genug von Lapdance und Poledance und dem endlosen Tanz der Korruption im Rathaus. Auf jeder Veranda an jeder Ecke flattert eine Fahne mit Bourbon-Lilien-Emblem im Wind, und überall legen sie in den Farben der Louisiana State University und ihrerFootball-Mannschaft Beete an, lila Stiefmütterchen und gelbe Tagetes. Go, Tigers . Selbst die Armut und Verwahrlosung im Neunten Bezirk, wo wir weder für Fahnen noch für Blumen Geld zu verplempern hatten, können dem Lokalpatriotismus nichts anhaben. Gekochter Crawfish, Marching Jazzbands bei Leichenzügen und glühender, unerschütterlicher Stolz sind für alle da. »Hier bin ich geboren«, sagen die Leute gern, »hier werde ich auch sterben.«
    Ich nicht. Ich mag hier geboren sein, aber hier bleiben werde ich auf keinen Fall. Mein Plan sieht so aus, dass ich ein paar bahnbrechende Reportagen schreibe, wahrgenommen werde, meine Siebensachen packe und bei einer richtigen Zeitung in einer richtigen Stadt anheuere.
    Aber jetzt gerade schmeckt mein geeister Kaffe nach Haselnuss, der Apfel zwischen meinen Zähnen ist süß und kalt, und mein Laptop gibt beim Aufklappen diesen engelhaften Glockenton von sich, der mich immer wieder mit unerklärlicher Freude erfüllt.
    Ich rufe die Notizen auf, die ich mir gestern in der Bibliothek gemacht habe, breite dazu einige fotokopierte Artikel auf dem Tisch aus und gehe alles noch einmal langsam und gründlich durch.
    Viele registrierte Sexualstraftäter sind für meine Story irrelevant, weil sie keine Gewalttäter sind. Bei ihnen handelt es sich um Flitzer, um Prostituierte, um Männer, die erwischt wurden, als sie irgendwo in der Öffentlichkeit gepinkelt haben, um Jugendliche, die einvernehmlichen Teenie-Sex hatten, nur dass einer von beiden schon über achtzehn war – das verbirgt sich hinter »Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen« –, um traurige, müde, nachgiebige Ehefrauen, deren Mann für einen Dreier eine Minderjährige angeschleppt und behauptet hat, sie sei volljährig. Es gibt Bundesstaaten, in denen kann man durch über hundert verschiedene Delikte – unter anderem dadurch, dass man eine Prostituierte anspricht – zum Sexualstraftäter werden. In Louisiana zählen dazu auch »Verbrechen widerdie Natur«, deren Katalog von schlichtem Oralsex bis hin zu Verkehr mit Tieren und Nekrophilie reicht. Es zeigt sich, dass nur wenige Sexual»verbrecher« eine Bedrohung für die Gesellschaft darstellen, aber durch das Registrierungsgesetz werden alle in einen Topf geworfen.
    Und 2008 als

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