Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
Vom Netzwerk:
noch einmal durchgehen, um mich auf das Gespräch mit Dr. Omar Letley vorzubereiten, dem forensischen Psychiater, den ich um zwei treffen werde.
    Es ist unschlagbar bequem, direkt über einem guten Coffeeshop zu wohnen. Die junge Frau am Tresen, die meine Bestellung entgegennimmt, hat schwarz lackierte Nägel; um ihre Handgelenke sind Mardi-Gras-Perlenketten geschlungen. Die Cremetörtchen in der Vitrine ignoriere ich. Stattdessen lege ich einen Apfel auf den Tresen. Der kupferne Kronleuchter über uns streckt seine Arme aus wie Fühler.
    Ich trage meinen Kaffee nach draußen; das Eis im Glas klirrt, die Sojamilch bildet einen Strudel. In der angenehm weichen Luft liegt der Duft von Jasmin. Ein hoher Holzzaun umgibtden Patio; die Tische stehen im Schatten großer, in Kübel gepflanzter Palmen, und dazwischen hüpfen dicke Spatzen von Krümel zu Krümel. Ich stelle mein Tablett ab, setze mich, schließe die Augen und halte das Gesicht in die Sonne.
    Sosehr ich mir auch wünsche, aus New Orleans wegzugehen, ich muss doch zugeben, dass meine Wohnung fantastisch liegt, weit weg vom irren Trubel des Quarters. Eine Ecke weiter ist der »Market on Esplanade«, wo es im Wesentlichen die gleichen frischen Sachen gibt wie in dem Whole-Foods-Biosupermarkt, der dort vorher war. Ist mir nach französischer Küche, kann ich gleich gegenüber ins »Café Degas« gehen, und direkt daneben gibt es eine Sushi-Bar, das »Asian Pacific«.
    Jenseits der Esplanade Avenue kriegt man in »Terranova’s« Lebensmittelgeschäft, einem alteingesessenen Familienbetrieb, alles, was man braucht. Dort kauft meine Mutter gern, denn es ist etwas günstiger. Ein Haus weiter, im spanischen Restaurant »Lola’s«, machen sie eine hervorragende paella , nur servieren sie den flan mit einer Sahnehaube – und sie schlagen die Sahne noch nicht mal selbst, sondern nehmen Sprühsahne aus der rot-weißen Reddi-Whip-Dose. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Ekelhaft . An den Wänden des Lokals hängen handgemalte Tafeln mit Aufschriften wie: GEAUX, TIGERS! Oder: UNGEZOGENE KINDER WERDEN GEKOCHT UND GEGESSEN. Draußen haben sie Lichterketten über Balkonbrüstungen und Zweige gespannt, und wo die Esplanade Avenue auf die Mystery Street stößt, gibt es einen üppig eingewachsenen, schattigen kleinen Park.
    Von der »Splish Splash Washateria« an der Ecke, wo ich meine Wäsche mache, ist es nur ein paar Blocks weit zu »Liuzzas’s by the Track« – da gehe ich hin, wenn ich, während die Wäsche im Trockner ist, plötzlich Appetit auf gute alte Louisiana-Küche kriege. So ein buttriges, scharfes Shrimp-Po’-Boy-Sandwich, wie sie es da machen, lässt den Wert deines schlechten Cholesterins um zwanzig Punkte hochschnellen, und du sagst trotzdem Amen.
    Um das alles wieder loszuwerden, kann man die Esplanade Avenue rauf joggen, weiter auf die Brücke über den flachen, stehenden Bayou St. John und direkt in den Stadtpark. Hat man das Museum of Art umrundet und die 1938 unter Roosevelt erbaute kleine Steinbrücke überquert, gelangt man in ein unglaublich grünes Areal: sanfte Wiesen; Virginia-Eichen, deren schwere Äste bis auf das Gras herabhängen; Schleier aus Spanischem Moos, die an den Zweigen wehen; gemächlich vorbeiwatschelnde Enten und spontane Fußballspiele. Endlos viele Fußballpartien zwischen zufällig zusammengekommenen Mannschaften. Endlos viele muskulöse junge Männer.
    Alles in allem heißt das, wer nach New Orleans zieht und den Touristenirrsinn des French Quarter meiden will, kann in meiner Gegend rund um die Esplanade Avenue getrost einen Mietvertrag unterschreiben. Wir haben Glück gehabt, dass ich für meine Mutter und mich nur wenige Blocks voneinander entfernt Wohnungen gefunden habe.
    Aber erst unter Katrina ist mir klar geworden, wie groß das Glück war. Sogar das Land war auf unserer Seite.
    Praktisch jeder weiß, dass New Orleans unterhalb des Meeresspiegels liegt. Als die französischen Entdecker kamen, war nur das »sliver by the river« – »das Stückchen am Fluss«, auf dem später das French Quarter entstand – trocken. Dort lagerte der Mississippi sein Sediment ab, puren Schlamm, kein Gestein. Die frühen Siedler mussten, um ihren Häusern Standfestigkeit zu verleihen, Pfosten fünfzehn Meter tief in den Grund treiben.
    Abgesehen von diesem schlammigen Streifen höher gelegenen Bodens stand beinahe alles – das gesamte Stadtgebiet des heutigen New Orleans – unter Wasser und wartete darauf, mittels der Ingenieurkunst

Weitere Kostenlose Bücher