Toedlicher Sumpf
in deftiger, sämiger Soße; der Reis darunter ist weich aufgequollen. Ein gutes, preiswertes Essen. Ich stärke mich.
Könnte sein, dass das mit der Story funktioniert. Dass sie am Ende vielleicht sogar ein Mehrteiler wird, eine gut recherchierte Reportage, wie die New York Times sie als Titelgeschichten hat. Dass Bailey sie bei Journalistenwettbewerben einreicht und mich sofort in die Lokalredaktion steckt und ich für immer weg bin aus Kuscheltier-Land. Und dann schreibe ich was richtig Gutes, und die New York Times ruft an, und ich werde so was von raus sein aus dieser Stadt.
Mike Veltris Bungalow in Metairie ist vom Sturm verschont geblieben. Graue Verkleidung, eine schmucklose Rasenfläche, ein kerzengerader weißer Fußweg. Gerade geschnittene Sträucher unter den Fenstern. Nichtssagend. Unscheinbar.
Genau wie Mike Veltri, stelle ich fest, als er die Tür öffnet. Weiß, mittelgroß, durchschnittlich gebaut, mittleren Alters, schwarzes, kurz geschnittenes Haar. Er trägt Jeans und weißes T-Shirt, hat ein riesiges Kinn und lächelt freundlich. Wäre da nicht das kleine kampfeslustige Flackern in seinen Augen, würde man ihn keines zweiten Blickes würdigen. Bestimmt war die Unscheinbarkeit bis 1994 – als »Megan’s Law«, das Gesetz zur Registrierung von Sexualstraftätern, in Kraft trat – seine Verbündete.
Ich gebe ihm die Hand und trete ein.
»Möchten Sie etwas trinken?« In New Orleans die klassischeBegrüßung. Wenn wir von draußen kommen, sind wir immer verschwitzt und durstig.
»Ja, das wäre schön.« Das Haus ist einfach, langweilig; prall gepolsterte blaue Sofas und ein Flachbildfernseher. Aus der Akte weiß ich, dass er seit zwei Jahren hier wohnt. Keine Bilder an den Wänden.
»Ich habe Wasser, Tee oder Diet Dr Pepper. Oder Bier, wenn Sie das wollen.«
»Gern Tee, danke.«
Ich schalte mein Diktiergerät ein und stelle es auf den Couchtisch. Sechs Frauen. Alle um die Zwanzig. Ich höre Eiswürfel in ein Glas klirren und dann das Knacken, als er eine Dose öffnet.
Als wir einander schließlich mit unseren Gläsern gegenübersitzen, komme ich gleich zur Sache.
»Also, Mr. Veltri, erzählen Sie mir doch, wie es Ihnen zur Zeit geht.«
»Klar.« Er wischt sich mit dem Handrücken über den Mund. »Ich bin einfach nur froh, dass ich draußen bin, okay? Gefängnis ist das Letzte. Diesmal war meine Strafe länger. Drei Jahre. Da hatte ich Zeit zum Nachdenken. Und ich habe beschlossen, dass ich so nicht mehr leben will. Verstehen Sie?« Ich nicke. »Immer Angst, geschnappt zu werden. Wissen, dass die Leute einen hassen. Es immer verbergen müssen. Sogar vor mir selbst.« Ich brauchte nicht zu fragen, was es war. »Das Ganze. Ich hatte es so satt.«
»Was haben Sie gemacht?«
»In der Verhandlung haben immer alle nur über die Opfer geredet – die Opfer, für mich klang das verrückt. Ich war doch das Opfer! Ich war derjenige mit Handschellen und so weiter. Das hat mich aufgeregt. Also hab ich später, als ich in meiner Zelle saß und so viel Zeit hatte, darüber nachgedacht, wie es nun eigentlich war.« Er beugt sich vor, seine aufgestützten Hände kneten seine Knie. »Immer wieder hab ich versucht, mir vorzustellen, dass die Frauen die Opfer waren. Und dannsind mir nach und nach so kleine Sachen wieder eingefallen. Verstehen Sie?« Er seufzt und starrt an mir vorbei zur Wand. »Wenn ich es getan habe, habe ich mich nicht darum geschert. Ich weiß, das klingt übel, aber so war’s eben. Ich will ehrlich sein. Ihre Gesichter haben keine Rolle gespielt. Aber da, in der Zelle, sind mir ihre Augen wieder eingefallen. Der Blick. Wie sie geweint haben. Oder wie tot aussahen. Und dann ist mir die Frau eingefallen, die plötzlich eingepinkelt hat. Damals habe ich mir eingeredet, dass sie erregt ist. Wie eine Frau eben feucht wird.«
Ich verziehe keine Miene, behalte meinen freundlichen Ausdruck bei, eine Maske der Zustimmung.
»In der Zelle habe ich dann ihr ängstliches Gesicht wieder vor mir gesehen. Da habe ich es begriffen. Da wusste ich, dass ich mir in die Tasche lüge.« Er blickt auf seine Hände und dreht sie hin und her.
Eine Stunde lang redet er ununterbrochen, erklärt, wie er im Lauf der Zeit so weit gekommen ist, seine Opfer als unschuldig zu betrachten, als Menschen, denen er etwas angetan hat. Der Bewährungsausschuss hat seine Reue für glaubwürdig befunden, und dank der Unterstützung eines Psychologen – »der große Worte für das ganze Zeug hatte« – konnte er
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