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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
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Tageslicht, und sie bleiben hier im Dunkeln zurück, im Gestank von Pisse und Putzmitteln. Sie hätten nicht mit mir reden müssen, aber sie haben es getan.
    Also lasse ich ihnen eine schöne Erinnerung da, etwas kleines Süßes. Einen Hauch Leben & Mehr, könnte man sagen.
    Nachdem ich die Interviews im Orleans-Parish-Gefängnis geführt habe, fahre ich auf dem I-10 in Richtung Norden, nach Metairie, wo ich Mike Veltri befragen werde, den ersten Vergewaltiger auf meiner Liste. Mein Magen knurrt, deshalb biege ich am Causeway Boulevard noch einmal ab und halte bei »Morning Call«, wo ich eine Kleinigkeit essen und Veltris Akte ein letztes Mal überfliegen will.
    In dem hohen Raum ist es kühl; das Stimmengewirr der Gäste hallt von den Wänden wider. Über dem Tresen wölbt sich ein hölzerner Bogen, auf dem in goldenen Lettern steht: MORNING CALL COFFEE STAND. Ich ziehe mir einen Stuhl heran und hieve meine Tasche auf den breiten grauen Marmortresen. Dahinter steht eine großgewachsene Frau; sie ist allein für den ganzen Raum zuständig. Ich zupfe eine Serviette aus dem klebrigen Metall-Serviettenspender. Seit über 100 Jahren der bekannteste Coffeeshop von New Orleans. Gegründet 1870 , verkündet der rote Aufdruck auf der Serviette. Bei genauerem Hinschauen erweisen sich die Mörtelfugen zwischen den Marmorplatten als total verdreckt. Ich werfe einen Blick auf mein Handy: keine Nachrichten eingegangen.
    Die Karte ist übersichtlich. Jedes Hauptgericht sechs Dollar: Crawfish-Étouffée, Jambalaya, rote Bohnen mit Reis, Gumbo oder Mais und Krabben. Zum Café au lait oder der heißen Schokolade kann man Beignets – das New-Orleans-typische Schmalzgebäck – bestellen. Auf dem Tresen steht eine Streudose mit Puderzucker, denn im »Morning Call« werden die Beignets pur serviert.
    Die Kellnerin eröffnet den Dialog minimalistisch. »Schon entschieden?« Ihr Blick wandert nach draußen zum Parkplatz. Dass sie überhaupt mit mir gesprochen hat, kann ich nur daraus schließen, dass sie direkt vor mir steht.
    »Rote Bohnen.«
    Sie entfernt sich, und meine Gedanken driften zurück zu einem der Vergewaltiger im Gefängnis, Jakey Alvaretto, einemfreundlichen Typen. Seine Hände, die während der Befragung auf dem Tisch lagen, wirkten geradezu sanft.
    »Ich kann es nicht erklären«, hat er gesagt. »Ich mag Frauen. Sie mag ich auch.« Und statt zu erschrecken, war ich merkwürdig gerührt. Er hatte strahlende, freundliche Augen. »Aber  irgendwas packt mich. Ich werde so wütend. Und dann ...«
    »Und dann?«, fragte ich ruhig nach.
    »Werde ich gewalttätig. Es passiert einfach. Es ist, als würde ich sie hassen. Als würde ich sie noch nicht mal sehen; ich seh dann immer nur meinen Vater. Und wenn ich fertig bin und sie weinen, hört das auf, dann sehe ich ihn nicht mehr. Und ich hasse sie nicht mehr. Dann fühle ich mich furchtbar. Durchgeknallt. Dann habe ich nur noch Angst.«
    »Ihren Vater?«
    »Er hat meine Mutter verprügelt. Wir haben das nachts gehört. Krankenhausreif hat er sie geschlagen.«
    »Wo war das?«
    »Drüben in Algiers.«
    »Und niemand hat die Polizei gerufen? Das Jugendamt?«
    »Doch. Sie haben angerufen. Ich weiß nicht, wie oft die Cops bei uns draußen waren.« Er lächelte resigniert. »Meinen Sie im Ernst, das würde was ändern?«
    Dann erzählte er von dem berufsvorbereitenden Trainingsprogramm im Gefängnis und dass er hoffe, einen Job als Koch zu finden, wenn er wieder draußen ist.
    Allerdings sind Vergewaltiger, die während ihrer Kindheit selbst mit Gewalt konfrontiert waren, viel stärker rückfallgefährdet als andere. Ich habe mein Statistik-Wissen für mich behalten und Jakey Glück gewünscht.
    Von den Kinderschändern im Gefängnis hat keiner mit mir gesprochen. Ein Wachmann meinte, sie wollten auf keinen Fall Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
    Wer weiß schon, warum sie es auf Kinder abgesehen haben? Ihr Begehren gerät oft früh durcheinander, in jungen Jahren,und sie werden dafür bestraft, endlos bestraft. Wir verdammen sie schnell: nennen sie krank, bösartig, pervers. Tiere. Ungeheuer. Aber Etiketten verhindern gar nichts.
    Ich schlage Mike Veltris Akte auf, habe aber Mühe, mich zu konzentrieren. Ziellos gleitet mein Blick über die Notizen – Datumsangaben, Alter und Namen der Frauen, die Veltri vergewaltigt hat. Mit einem Seufzer klappe ich die Akte zu. Die Kellnerin knallt ein winziges Glas Wasser und eine gewaltige Schüssel Essen auf den Tresen. Heiße rote Bohnen

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