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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
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jemals etwas ohne Parteinahme passieren.
    Blass beigegrau ragt das Gefängnis auf, umgeben von Mauern, auf denen in großen Schlingen Natodraht befestigt ist. Ganz oben im Wachturm lassen ein paar durstige Farne die schlappen gelben Blätter hängen.
    Auf der South White Street rolle ich an den Büros der Staatsanwaltschaft vorbei; dort arbeitet Calinda. Nach mehreren Runden um die Ansammlung schäbiger Shotgun-Häuser – inzwischen eine Art Abraumhalde des Gesetzes – finde ich vor »Dionnes’s Kaution jederzeit: MACH DIR NICHTS DRAUS, WIR HOL’N DICH RAUS« endlich einen Parkplatz.
    Im Zuge der Vorbereitung auf die Interviews, die ich im Orleans-Parish-Gefängnis führen will, habe ich mich gegen mein übliches Büro-Outfit entschieden, gegen eine knackig sitzende weiße Hose, hochhackige Sandalen und eine rote Bluse, die eine Spur zu eng ist, um sie in der Kirche tragen zu können. ImFrench Quarter würde ich damit niemandem auffallen, New Orleans ist die Stadt der Fleischbeschau; hier gibt es Mardi-Gras-Perlen für blanke Brüste, hier liegen die trägerlosen Oberteile an wie Frischhaltefolie. Selbst kräftige Frauen tragen ihre Röcke so eng, dass man durch den Stoff hindurch das Ausmaß der Cellulite begutachten kann. So ist es hier eben.
    Im Orleans-Parish-Gefängnis allerdings wäre der empfehlenswerte Dresscode für jede Frau: matronenhaft . Ich habe mich für einen schlichten grauen Pullover und eine weite Kakihose entschieden, und trotzdem wird mir ein lärmender, derber Empfang bereitet, der gar kein Ende nehmen will.
    Das macht mir keine Angst, ich lache und winke. Sie sind hinter Gittern – zumindest die Insassen, und für die Wachen gilt: Glotzen ist das Äußerste; alles andere würde sie ihren Job kosten.
    Als wir schließlich alle über mein Auftauchen hinweg sind, kehrt Ruhe ein. Ich sitze mit ein paar Wachleuten auf orangefarbenen Plastikstühlen in einem trostlosen Büro, und nach und nach füllt sich die Speicherkarte meines Diktiergeräts mit den Kommentaren der Männer. Was ich über Vergewaltiger zu hören bekomme – Wutausbrüche, Kontrollverlust –, ist nicht neu. Aber mich interessiert, was sie über Kinderschänder sagen.
    »Die meisten von denen sind ruhige Typen. Zurückhaltend«, sagt ein Wachmann. »Machen keine Schwierigkeiten. Aber – Sie wissen schon. Die wirken schwach. Und was sie getan haben – na ja, die anderen finden es zum Kotzen. Diese Typen sind leichte Beute.«
    Als ich durch eine zerkratzte Plexiglasscheibe mit einigen Insassen rede, das Diktiergerät dicht am Telefonhörer, wird mir klar, dass Pädophile – nicht alle Sexualstraftäter, sondern vor allem die Kinderschänder – selbst hier, unter den Außenseitern der Gesellschaft, verachtet werden.
    »Scheiß-Kinderficker? Die mach ich fertig«, knurrt einer und boxt sich in die offene Hand. Das reinste Klischee. Auchunter Kriminellen gibt es eine Hierarchie, und in der stehen die Pädophilen ganz, ganz unten.
    Es heißt sogar, dass im Gefängnis mehr Kinderschänder unter ungeklärten Umständen zu Tode kommen als andere Kriminelle. Offenbar sehen die Polizisten, die beim Tod eines Kinderschänders ermitteln, sich nicht immer genötigt, alles bis ins letzte Detail zu klären. Ein grinsender Wachmann erklärt, dass es – ungeachtet der Statistiken – im Orleans Parish nie zu solchen Todesfällen kommt, und die anderen Männer lachen.
    Am Ende habe ich über zwei Stunden Rohmaterial, aus dem ich mir Zitate heraussuchen kann. Ich bedanke mich bei dem Wachmann, der mich ins dunkle Innere des Gefängnisses geführt hat, und er bietet sich an, mich auch wieder nach draußen zu begleiten. So folge ich ihm mit klappernden Absätzen durch den endlosen Gang, vorbei an pfeifenden, johlenden Männern; Männern, die sich die Lippen lecken; Männern, die mit dreckstarrenden Fingern die Gitterstäbe ihrer Zelle umklammern; muskulösen Kerlen, die mir den Hals umdrehen könnten wie einem Huhn.
    Ich könnte stur geradeaus schauen wie jemand, der Angst hat und Coolness vortäuschen will, doch das tue ich nicht. Tatsache ist, dass viele von ihnen bloß wegen eines Joints hier sind, der bei ihnen gefunden wurde, und wir alle wissen, wie so was für Schwarze ausgeht. Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet. Ich winke und verabschiede mich und strahle, als wäre ich Marilyn Monroe bei einem Auftritt vor den amerikanischen Truppen.
    Denn letzten Endes bin ich es, die ins Warme zurückkehren kann, zu Jasminduft und

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