Toedlicher Sumpf
herunter, die süß und klebrig ist und schwach nach Karamell schmeckt, und dann grabe ich die Gabel in die blasse, lockere Masse darunter. Wieder und wieder lese ich währenddessen, was ich getippt habe, stelle Sätze um, lösche manches, gestalte größere Passagen. Es beginnt Form anzunehmen, und einzelne Wörter aus den doch sehr persönlichen Aussagen der Fremden verwandeln sich in meinem Kopf in eindringliches Flüstern.
Als auch das zweite Stück Cheesecake gegessen ist, dreht sich mir der Kopf im Zuckerrausch. Ich raffe meine Sachen zusammen und gehe ein weiteres Mal zum Tresen.
»Ein Stück Pralinen-Cheesecake. Zum Mitnehmen.«
»Ein drittes?« Die Brauen des Mädchens schnellen in Richtung Haaransatz.
»Ist das ein Problem?«
»Nein. Wollte nur sicher sein.«
Als sie mir die Styroporschachtel über den Tresen schiebt, sehe ich ein süffisantes Grinsen auf ihrem Gesicht.
Uri ist weg, wahrscheinlich mit Roux draußen. Ich gehe ins Bad, verriegele die Tür und lasse mich auf dem Boden nieder. Dort öffne ich die Schachtel und schlinge das Stück Torte hinunter. Meine Augen brennen, als müsste ich weinen, aber ich weine nicht. Ich will das nicht mehr. Während der College-Zeit habe ich es gemacht. Ich habe genug darüber gelesen, um zu wissen, was man damit seinen Zähnen antut und seinem Herzen. Das ist mir klar.
Trotzdem: noch ein Mal. Nur noch dieses eine Mal.
Die Wohnung ist leer, also kann mich auch keiner hören.
Danach stehe ich vor dem Spiegel, meine Augen sind gerötet und tränen von der Anstrengung. Ich fühle mich wieder leicht, frei, erlöst. Leer. Noch zittere ich, aber der Druck ist weg.
Ich putze mir die Zähne. Nach dem Spülen setze ich mein Testlächeln auf und stelle fest, dass sie groß sind und leuchtend weiß. Alles gut. Und dann drücke ich, als führte jemand anders mir die Hand, noch einmal einen Strang Zahnpasta auf die Bürste, blecke im Spiegel die Zähne und bürste sie, bürste sie, bürste sie.
Um die Mittagszeit hat es aufgehört zu nieseln, und die Sonne steht strahlend am Himmel, als ich mich auf den Weg in die Magazine Street mache. In Solines Geschäft ist es angenehm kühl. Deckenventilatoren verteilen einen zarten Zitrusduft in dem elegant ausgestatteten Raum. Soline arbeitet heute nicht, deshalb holt eine hübsche junge Frau mit langen Wimpern und kurz geschorenem Haar mir das Brautjungfernkleid, das noch in einen weißen Papier-Kleidersack gehüllt ist. Obwohl das nirgends als Firmenpolitik fixiert ist, beschäftigt Soline in ihrem Geschäft ausschließlich schwarze Frauen.
Die Angestellte führt mich nach oben zu den Anprobe-Kabinen.Wir gehen über hellen Hartholzboden; die Kabinen sind mit schweren grauen Samtvorhängen verschlossen. Einen zieht die junge Frau für mich auf. An allen drei Wänden des engen Raums sind hohe, silbergerahmte Spiegel angebracht, als Ablage dient ein kleiner Wildlederpuff. Die junge Frau entfernt sich auf klappernden Absätzen.
Ich streife das Kleid über den Kopf und lange nach hinten, um den Reißverschluss hochzuziehen. Es ist ein Etuikleid aus gefüttertem, dunkelblauem Leinen, knielang, mit eckigem Halsausschnitt und Rückendekolleté. Ich nehme mein Haar hoch und begutachte mich. Schlicht und atemberaubend. Wir werden uns hervorragend machen, wenn wir Soline in die Mitte nehmen, und sie selbst wird aussehen wie eine Göttin.
Die klappernden Absätze kommen wieder näher.
»Soline sagt, ich soll fragen, ob was geändert werden muss?« Ihre Stimme ist hoch und sanft.
Ich fasse den Stoff auf Taillenhöhe seitlich etwas zusammen. Obwohl ich meine Größe angegeben habe, kommt mir das Kleid etwas zu weit vor. Langsam drehe ich mich vor dem Spiegel hin und her.
»Nein, es ist gut so.«
»Soline sagt, ich soll fragen, ob Sie’s jetzt mitnehmen wollen oder ob sie es zur Kirche mitbringen soll.«
»Gute Idee eigentlich.« Es wird nicht schöner werden davon, dass ich es erst noch in meinem Pontiac spazieren fahre. »Ja, ich lasse es hier.« Ich ziehe den Reißverschluss auf. »Ach, was kostet mich der Spaß eigentlich?«
»Soline sagt, die Kleider sind ein Geschenk.«
»Moment mal. Auf gar keinen Fall kann ich ...«
»Soline sagt, keine Widerrede.«
Was Soline sagt, ist offenbar Gesetz. »Hm, also gut. Sind Sie sicher?«
»Ja, Ma’am.«
»Na dann, vielen Dank.«
Eine Weile herrscht Schweigen. Sie steht gleich hinter dem Vorhang und wartet. Ich hasse Verkäuferinnen, die um einen herumschleichen. Denken die, man
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