Tödliches Abseits (German Edition)
einem Aktenkoffer aus edlem Leder hinter Luigi, dem Fahrer, und Salvatore, dem Kassierer, an der Theke der Nobel-Pizzaria Sole Mio in Gelsenkirchens Innenstadt und hörte den weinerlichen Tiraden des Besitzers zu.
»Mamma mia, jetzt schon eintausend die Woche. Woher, meint ihr, nehme ich das Geld? Hä? Die Geschäfte laufen schlecht in diesem Jahr, sehr schlecht. Zu viele Arbeitslose, zu hohe Steuern. Ich habe heute erst drei ›Vitello Tonnato‹ und zwei ›Bifteki Fiorentina‹ verkauft. Nur von Pizza kann ich nicht leben. Der Koch kostet ein Vermögen. Dann der Wein ... und gutes Personal ...« Er hob beide Arme und warf den Kopf nach hinten. »Das kostet. Und da kommt ihr und wollt eintausend. Ich kann euch ... wartet ... achthundert geben. Wie wär’s mit achthundert?« Der Wirt sah hoffnungsvoll in die Runde. »Nehmt noch eine Grappa.« Er griff zur schlanken Flasche und füllte die vier bauchigen Gläser, die vor ihnen standen.
»Salute.«
Vincente war der Buchhalter, nicht der Kassierer. Er griff zum Glas und prostete dem Restaurantbetreiber zu, dessen Gesichtsausdruckmit jedem Schluck, den Vincente nahm, zuversichtlicher wirkte. Aber Vincente war wirklich nur der Buchhalter. Der Kassierer war Salvatore. Und Salvatore trank nicht.
»Pedro sagt eintausend.« Salvatores Stimme war heiser und kaum hörbar. »Er meint auch eintausend.« Der Kassierer baute sich mit seinen breiten Schultern vor dem Wirt auf und tippte der zunehmend bleicher werdenden Gestalt vor ihm mit dem Zeigefinger auf die Brust. »Eintausend. Ab heute. Sonst verkaufst du bald wieder Eis in Napoli.«
Der Wirt zitterte am ganzen Körper und erweckte für einen Moment den Eindruck, als wolle er sich dem Ansinnen widersetzen. Dann entschied er sich doch anders, nickte ergeben, bückte sich hinter den Tresen, zückte einen Schlüssel und griff in die Kassette. Vincente nahm den letzten Schluck. Der Grappa war wirklich ausgezeichnet. Dann schnappte er sich den Aktenkoffer, fischte ein kleines Notizheft heraus, schlug eine Seite auf und wartete.
Mit hochrotem Kopf tauchte der Gastronom nun wieder auf und blätterte zehn Blaue auf die Theke. Der Kassierer gab stumm sein Einverständnis, strich die Knete ein und reichte sie an Vincente weiter. Der verstaute die Scheine in seiner Brieftasche und vermerkte die pünktliche Zahlung in dem Notizbuch. Dann visierte er das volle Grappaglas Salvatores an. Der signalisierte stumm Zustimmung. Nach einem prüfenden Blick auf Salvatore schob der Wirt das Glas zum Buchhalter herüber.
Vincente nickte freundlich. »Du musst mir deine Be-zugsquelle für diesen köstlichen Tropfen nennen«, sagte er lächelnd. »Toskana?«
»Si.«
»Chianti?«
»Si. Grewe.«
»Aah, Grewe.« Vincente nahm einen Schluck und ließ seine Zunge schnalzend über den Grappa gleiten. »Ein Genuss.«
Auf dem Weg zu ihrem in der Nebenstraße geparkten Alfa begegnete ihnen eine Gruppe von Passanten, denen eine einzelne Gestalt folgte. Vincente erkannte den Mann sofort wieder. Es war der Hooligan, der bei dem Überfall im Zug so seltsam unbeteiligt gewirkt hatte. Vincente war in der Familie berühmt für sein Personengedächtnis. Er vergaß nie ein Gesicht.
Der Buchhalter griff sich unwillkürlich an die Stirn. Dort spannte sich ein großes Pflaster über die Wunde, die mit fünf Stichen hatte genäht werden müssen.
Vincente hasste Gewalt. Deshalb war er auch Buchhalter geworden. Er war Geschäftsmann, sonst nichts.
Der Mann ging an ihm vorbei, ohne Vincente wahrzunehmen.
Leise sprach der Buchhalter einige Worte zu dem Kassierer. Salvatore antwortete nicht, sondern führte schweigend den Befehl aus. Er folgte dem Mann in die Dunkelheit.
Nach einigen Stunden kehrte der Kassierer zurück in die Dortmunder Pizzeria, die der Familie gehörte. Wortlos legte er dem Buchhalter einen Zettel mit Namen und Anschrift hin. Der Typ mit dem Dortmunder Trikot hieß Sven Kamenz. Er wohnte in der Bismarckstraße in Gelsenkirchen.
Vincente notierte die Anschrift in seinem Notizbuch. Selbstverständlich verschwendete er nicht eine Sekunde an den Gedanken, sein Wissen an die Polizei weiterzugeben. Aber möglicherweise war es irgendwann einmal nützlich für die Familie. Und das war alles, was zählte.
10
Esch saß gelangweilt in seinem Büro und studierte zum dritten Mal an diesem Dienstagmorgen in der WAZ die Vorberichterstattung über das morgige UEFA-Cup-Spiel von Schalke 04, als das Telefon schellte. Überrascht griff er zum
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