Tödliches Abseits (German Edition)
Ihnen hört ja keiner. Wohl was Besseres vorgehabt?«
Der Beamte ignorierte Eschs Vorwurf, drückte auf den Klingelknopf und lauschte. »Scheint defekt zu sein. Ich mache später Meldung. Sind Sie fertig?«, fragte er Rainer.
»Darauf können Sie sich verlassen«, fauchte Esch den Beamten an. »Völlig fertig.«
»Dann kommen Sie mit.« Das galt Droppe, nicht ihm. »Ich hole Sie auch gleich ab, Herr Anwalt. Gedulden Sie sich bitte noch einen Moment.«
Als der Beamte mit dem Untersuchungshäftling den Raum verlassen und die Tür schließen wollte, sagte Rainer kleinlaut: »Können Sie bitte die Tür offen lassen?«
Grinsend schob der Justizbeamte mit Droppe ab.
Eine Viertelstunde später stand Rainer endlich wieder vor der Justizvollzugsanstalt und atmete tief durch.
Zurück in Herne erwartete ihn vor seinem Büro ein alter Mann, der ungeduldig mit seinem Gehstock auf den Boden klopfte.
»Sind Sie der Anwalt?«, wollte der Alte wissen.
»Ja, der bin ich. Um was geht es?«
»Das wurde aber auch Zeit«, knurrte der Mann. »Ich warte schon seit fünf Minuten. Hier, bringen Sie das in Ordnung.« Der Alte zog ein zerknittertes Blatt aus der Jackentasche und wedelte Rainer damit vor der Nase herum. »Alles Verbrecher sind das. Gemeine Verbrecher. Aber nicht mit mir. Denen werde ich’s zeigen.«
Esch schloss die Tür zu seinen Büroräumen auf. »Wollen Sie nicht lieber hereinkommen? Das ist doch sicher besser als hier auf der Straße ...«
»Verbrecher. Mafiamethoden. Saubande.« Der Alte schob sich schimpfend an Rainer vorbei ins Innere und ließ sich ächzend auf einen Stuhl im Wartezimmer fallen. »Gauner. Alles Gauner. Hier, nehmen Sie endlich. Verbrecher! Einen alten Mann so zu betrügen.« Er reichte dem Anwalt das Papier.
»Mein Büro ist eigentlich da hinten ...«, versuchte Rainer, den Redeschwall des Alten zu unterbrechen.
»Wieso? Hier geht’s doch auch. Eingesperrt gehören die, allesamt eingesperrt. Ganoven, elende.«
Esch sah auf den Wisch, den der Alte ihm gegeben hatte, und blickte dann ungläubig auf seinen neuen Mandanten. »Meinen Sie nicht, es wäre besser, wenn Ihr Sohn ...«
»Hab keinen Sohn!«
»Oder Ihr Enkel selbst kommen würde?«
»Hab keinen Enkel!«
»Ja, aber an wen ist denn das Schreiben gerichtet?«
»Dumme Frage! An wen wohl? An mich natürlich.«
Rainers Verblüffung wuchs. »Dann sind Sie Josef Bartelt, Castroper Straße 235?«
»Natürlich bin ich Josef Bartelt«, grummelte der Alte. »Was soll das? Ist das hier ’n Ratequiz, oder was?«
»Darf ich mal fragen, wie alt Sie sind, Herr Bartelt?«
»Weiß zwar nicht, warum Sie das interessiert, aber meinetwegen. Ich bin sechsundachtzig, werde im November siebenundachtzig.«
»Dann verstehe ich. Dieses Schreiben ist also irrtümlich an Sie gegangen und Sie möchten nun, dass ich das richtig stelle?«
»Wieso irrtümlich? Zu teuer sind die Verbrecher, viel zu teuer. Und was die mir da vorgeschlagen haben! Einfach Betrug ist das! Ich habe denen eindeutig gesagt, passend zu meinem Alter. Also nicht unter sechzig. Und was schicken die mir? Alle unter dreißig. Stellen Sie sich das mal vor! Das bezahl ich nicht. Das sind doch Mafiamethoden. Bringen Sie das in Ordnung. Das können Sie doch, oder?«
Rainer nickte stumm.
»Dann ist ja gut.« Schwerfällig erhob sich der Alte. »Wiedersehen«, sagte er und verließ humpelnd die Anwaltspraxis, ohne Rainers Erwiderung abzuwarten.
Esch fiel vor Verblüffung die Kinnlade herunter. Er musste sich setzen. Dann studierte er kopfschüttelnd noch einmal das Schreiben, das er soeben von dem Alten erhalten hatte.
Der Anwalt fragte sich, wie er einem Gericht klar machen sollte, dass sich eben dieser 87-Jährige mit Recht weigerte, eine Rechnung über 2.000 Deutsche Mark des Ehevermittlungsinstitutes Harmonie wegen angeblichen Vertragsbruchs zu begleichen, da die vorgeschlagenen Heiratskandidatinnen für Josef Bartelt ausnahmslos zu jung waren. Das verstand kein Mensch. Und Rainer besaß noch nicht einmal eine unterschriebene anwaltliche Vollmacht. Aber das würde er ändern. Sofort.
Mit wenigen Schritten war Esch vor seinem Büro, um den zwar heirats-, aber zahlungsunwilligen Alten wieder einzufangen.
13
Als Rüdiger Brischinsky in der Brandheide eintraf, hatte die Streifenpolizei den Waldweg bereits gesperrt und das Gelände weitläufig gesichert. Brischinsky hielt seinen Ausweis hoch und die uniformierten Beamten ließen ihn und seinen Dienstwagen durch die Absperrung.
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