Tödliches Abseits (German Edition)
laute Schließen der Türen und an das hallende Geräusch beim Durchqueren der menschenleeren Gänge.
Rainer wusste nicht, ob er dem Beamten drei oder dreizehn Minuten gefolgt war, als dieser eine letzte Tür aufschloss, öffnete und ihn hineinbat. »Der Untersuchungsgefangene wird Ihnen sofort zugeführt.«
Rainer schauderte. ›Zugeführt.‹ Was für ein Vokabular! Wie ein Paket, das zugestellt wird.
Er betrat den Raum. In seiner Mitte stand ein einfacher Tisch mit einer Platte aus Resopal, links und rechts davon je drei Stühle. In einer Ecke verlor sich ein weiterer Stuhl. Sonst war der Raum unmöbliert und ohne Fenster. An der Decke warf eine Neonleuchte kaltes Licht auf die gespenstische Szenerie.
Rainer setzte sich auf eines der Sitzmöbel. Zumindest gab es hier einen Aschenbecher. Er steckte sich eine Reval an und wartete. Nach einigen Minuten hörte er Schritte und die Tür wurde geöffnet. Der ihm schon bekannte Beamte folgte einem jungen Mann in das Besucherzimmer.
»Bitte schellen Sie hier«, sagte der Schließer und zeigte auf einen Klingelknopf, der Rainers Aufmerksamkeit bisher entgangen war, »wenn Sie Ihr Gespräch beendet haben. Ich lasse Sie dann wieder raus.«
Der Beamte schloss die Tür und der frisch bestellte Pflichtverteidiger hörte, wie der Schlüssel herumgedreht wurde. Dann war Esch mit Michael Droppe allein.
»Setzen Sie sich doch.« Rainer schob seinem verunsichert wirkenden Gegenüber einen der Stühle zu und nahm selbst auf der anderen Seite des Tisches Platz. »Mein Name ist Rainer Esch. Ich bin Ihr vom Gericht bestellter Pflichtverteidiger. Zigarette?«
Er hielt Droppe die Packung hin. Mit fahrigen Bewegungen fingerte der Untersuchungshäftling eine Reval aus der Schachtel, steckte sie sich in den Mund und sah Rainer erwartungsvoll an.
»Ach so. Kein Feuer?« Ohne eine Antwort abzuwarten, legte Rainer sein Einwegfeuerzeug auf den Tisch. Dann steckte er die Packung wieder in seine Brusttasche, was Droppe mit einem enttäuschten Blick quittierte.
»Haben Sie keine Zigaretten mehr?«, vermutete der Anwalt.
»Nee, schon alle. Un meine Knete ist auch weg. Verzockt.«
Dafür hatte Rainer das größte Verständnis. Er warf Droppe die Packung zu und sagte: »Behalten Sie sie. Das Feuerzeug auch.«
»Danke.« Der Gefangene steckte die Schachtel ein und zog hastig und tief an der Kippe.
»Herr Droppe, mir wurde erst heute Morgen mitgeteilt, dass ich Ihren Fall übernehmen soll. Ich habe zwar Akteneinsicht beantragt, aber noch keine erhalten. Deshalb erzählen Sie mir doch bitte, was passiert ist. Und zwar von Anfang an.«
»Kostet dat wat?«
»Was? Ob Sie für meine Tätigkeit bezahlen müssen, meinen Sie?«
Droppe nickte.
»Natürlich erhalte ich ein Honorar. Aber das wird vom Staat übernommen.« Zunächst, setzte er in Gedanken hinzu.
»Wann komm ich hier raus?«, fragte Droppe.
»Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Ich werde natürlich so bald wie möglich einen Haftprüfungstermin beantragen, aber das kann dauern.«
»Ich halt dat im Knast nich aus. Ich muss hier weg. Sofort.«
»Herr Droppe, das müssen Sie sich aus dem Kopf schlagen. Etwas werden Sie sich noch gedulden müssen.« Wenn du Pech hast, fünfzehn Jahre, dachte Rainer. »Aber jetzt erzählen Sie mir bitte alles von Anfang an.« Der Anwalt nahm seinen Notizblock zur Hand und sah seinen Mandanten auffordernd an.
»Also, dat war so ...« Michael Droppe erzählte von dem Treffen mit seinen Kumpeln bei Siggi, ihren Alkoholexzessen auf dem Weg ins Parkstadion, während des Spieles und auf dem Gelsenkirchener Hauptbahnhof, seinem Filmriss im Zug und dem Gewecktwerden durch den Polizisten, dem ersten Verhör durch Hauptkommissar Brischinsky, seinen Fingerabdrücken auf dem Messer, dem Blut auf seiner Kleidung und dem verzweifelten Fluchtversuch noch aus dem Zug.
»Un seit Montagsitz ich getz hier. Vorher im Knast bei die Bullen in Recklinghausen. Ich habdoch nix gemacht. Ich zerbrech mir den Kopp, abba mir fällt nix ein, ährlich. Ich kann mich einfach nicht dran erinnern, allet wech. Totalausfall inne Birne.« Droppe schlug sich einige Male mit der flachen Hand vor die Stirn. »Wech. Einfach wech.«
»Sie können sich wirklich nicht erinnern?« Rainer sah seinen Mandanten skeptisch an. »Ich bin Ihr Anwalt. Mir können, nein, müssen Sie sogar alles erzählen. Sonst kann ich Ihnen nicht helfen.«
»Wenn ich Ihnen dat doch sage. Allet wech.«
»Wenn Sie sich nicht erinnern können, wäre es
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