Tödliches Abseits (German Edition)
schon in den nächsten Tagen. Ich erwarte die Zahlung eines Mandanten. Spätestens, wenn ich mein Honorar für die Pflichtverteidigung bekomme.«
Cengiz setzte die heiße Kanne auf einem Holzbrettchen ab, griff zu Rainers Tasse und schenkte ein. »Wie hoch ist eigentlich das Honorar in einem solchen Fall?«, erkundigte er sich.
»Da gibt es Vorschriften, das ist alles geregelt«, wich Rainer aus.
»Wie hoch?«, insistierte Cengiz.
»So genau ...«
»Wie hoch?«
»Nicht ganz eintausend.«
Der Türke verschluckte sich fast. »Du bekommst weniger Honorar, als du für diesen vagen Hinweis ausgeben willst? Du bist wirklich total verrückt, das steht fest.«
»Werte das doch als eine Investition in die Zukunft. Wenn ich den Droppe da rauspauke, habe ich doch einen Riesenschritt hin zu einer Karriere als Strafverteidiger gemacht. Die Chance kann ich mir doch nicht entgehen lassen.«
Cengiz sah nicht sehr überzeugt aus. »Woher weißt du eigentlich, dass nicht irgendein geschäftstüchtiger Schlauberger dir auf diesem Weg einen Riesen aus der Tasche ziehen will?«
»Weiß ich nicht«, gestand Rainer widerstrebend ein.
»Siehst du. Unterstellen wir, dass der Anrufer tatsächlich einen Namen kennt, dieser Zeuge aber nichts sagen kann oder will, was für deine Verteidigung wichtig wäre?«
Rainer zog es vor, nicht zu antworten.
»Wenn deine Vermutung stimmt, dass es sich um die Mafia ...«
»Na ja, vielleicht nicht ganz das, was wir so unter Mafia verstehen. Ich stelle mir das eine Nummer kleiner vor, so mit ...«
»Von mir aus auch eine Minimafia. Dürfen Anwälte eigentlich für Informationen von solchen Leuten bezahlen? Es gibt doch da so einen Ehrenkodex ...«
»Du meinst das Standesrecht?«
»Das meine ich. Hindert dich das nicht an solchen Aktionen? Oder musst du nicht die Polizei informieren?«
Darüber hatte Rainer selbst schon nachgedacht. Aber die Lektüre der Fachzeitschriften und des Strafgesetzbuches hatte ihm fast Gewissheit verschafft.
»Nein.« Er nahm einen Schluck Kaffee. »Muss der eigentlich immer so süß und stark sein?«
»Er muss. Du kannst ihn ja stehen lassen.«
»Also was ist. Leihst du mir das Geld?«
»Ich tue es zwar nicht gerne, aber meine Antwort ist und bleibt: nein.«
»Cengiz, wann habe ich dich das letzte Mal um etwas gebeten?«
Jetzt verschluckte sich der Türke tatsächlich. »Du erwartest doch keine Antwort, oder?«
Rainer erwartete nicht.
»Keinen Pfennig!«
»Dein letztes Wort?«
»Das ist es.«
»Das finde ich ... Ach, lassen wir das. Ich jedenfalls würde meinen besten Freund nie so hängen lassen.«
»Du hast leicht reden bei deiner chronischen Geldknappheit. Hier hast du einen freundschaftlichen Rat. Den gibt es sogar umsonst. Ruf Brischinsky an und steck ihm die ganze Geschichte. Und dann fahr in dein Büro und mach Schriftsätze.«
Rainer stand auf. »Dass du ein solcher Geizkragen bist ...«
Scherzhaft drohte ihm sein Freund mit der Faust.
»Cengiz, könntest du mir wenigstens mit einem Fünfer für Zichten ... Ich bin momentan etwas klamm.«
Kurz vor acht Uhr stand Rainer vor der Eisdiele am renovierten Herner Hauptbahnhof. Er war schon seit fast einer halben Stunde im fußläufigen Teil der Einkaufsstraße spazieren gegangen, um sich über sein weiteres Vorgehen klar zu werden – erfolglos. Er war sich ohnehin nicht mehr sicher, ob er einen Riesen, selbst wenn er ihn gehabt hätte, für eine Information einsetzen wollte, deren Gebrauchswert möglicherweise gegen null tendierte. Trotzdem wollte er diesen Italiener und seine Geschichte kennen lernen, Mafiastrukturen hin oder her.
Rainer versuchte möglichst unauffällig auszusehen, schlenderte am Eingang der Eisdiele vorbei und riskierte einen vorsichtigen Blick durch die große Fensterscheibe daneben. In seiner Blickrichtung links befand sich die Theke, hinter der ein Barkeeper vor einem Regal mit einer imponierenden Anzahl an Spirituosen mit Andacht Gläser polierte. Rechts davon standen hintereinander aufgereiht kleine Tische. Die ersten vier von ihnen waren unbesetzt, dann verhinderte der Lichtvorhang der Halogenbeleuchtung weitere Einblicke.
Rainer atmete tief durch, straffte sich und betrat den Laden. Der Barkeeper schenkte ihm nur ein kurzes Begrüßungsnicken und widmete sich dann wieder mit Inbrunst seinen Gläsern. Gianna Nannini übte sich im Hintergrund an Kris Kristoffersons Me and Bobby McGee. Und am letzten Tisch, ganz hinten im Lokal, entdeckte Rainer die hochgehaltene
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