Tödliches Experiment: Thriller (German Edition)
gesehen.
Und dann geschah es: Sie war plötzlich von einer drückenden Last befreit. Sie fühlte sich frei und Michael begann in ihren Gedanken aufzutauchen, nicht nur als hilfreicher Freund und möglicher Chef, sondern auch als ein sehr anziehender und begehrenswerter Mann.
Als sie an diesem Tag nach Hause kam, hatte sie plötzlich gedacht: Zum Teufel mit all der Förmlichkeit! Man sollte zwar Beruf und Vergnügen nicht vermischen, aber was schadete es denn? Sie zog die Bürokleidung aus, duschte, frisierte sich, brachte ihre Nägel in Ordnung und schlüpfte in ein leichtes Sommerkleid mit einem gewagten Rückenausschnitt und einem tiefen Dekolleté. Sie wandte zwanzig Minuten mehr als gewöhnlich für ihr Make-up auf und besprengte sich reichlich mit ihrem Lieblingsparfum. Ihr fiel auf, dass sie sich schon sehr lange nicht mehr solche Mühe gegeben hatte. John hatte sie immer lieber in Freizeitkleidung und Jeans gesehen, jene Susan, die noch in der Prärie lebte, sich meist mit Jungen umgab, mit denen sie auf dem Schulhof Fußball spielte.
Als sie Michael unten in seinem Wagen warten sah, kamen ihr für kurze Zeit Zweifel. Mein Gott, McCullough, dachte sie, er wird denken, dass du unehrenhafte Absichten hast. Dann lachte sie über sich selbst und setzte sich neben ihn auf den Beifahrersitz. Und wenn schon. Vielleicht war das gar nicht so schlecht.
„Hi.“
„Du siehst wunderbar aus.“
„Ich fühle mich auch wunderbar. Wohin fahren wir?“
„Zum Old Teamster.“
Sie erinnerte sich an das Restaurant, das außerhalb der Stadt im Staate Virginia lag, etwa fünfundvierzig Minuten entfernt.
Michael kannte sich in Washington gut aus und brachte es fertig, die letzten Ausläufer des Stoßverkehrs größtenteils zu vermeiden, außer auf der Key Bridge, die von Georgetown über den Potomac führt. Sie fuhren durch die Vorstädte im Westen, dann durch einen Waldstrich; bald sahen sie Farmen auf sanft gewellten Feldern. Die Sonne ging gerade unter, als die Blue Ridge Mountains in Sicht kamen.
Es war ein milder Frühsommerabend. Susan lehnte den Kopf zurück und genoss den üppigen, frischen Landgeruch. „Es ist so herrlich, aus der Stadt herauszukommen.“
„Kannst du segeln?“
„Nein, ich komme ja aus dem Mittleren Westen, erinnerst du dich? Aber ich würde es gerne probieren.“
„Ich habe ein altes Boot gegenüber von Annapolis liegen. An einem Wochenende möchte ich damit mal den Chesapeake hinunterfahren.“
„Das wäre wunderbar.“
Sie kamen nicht bis zum Old Teamster. In der nächsten Kleinstadt fand gerade ein Jahrmarkt statt. Es gab eine Zuchtviehausstellung, ein Riesenrad und Karussells, Schießbuden und eine große Zahl von Spielautomaten. Susans Herz schlug höher. Jedes Jahr hatten ihre Eltern sie zum Jahrmarkt in der Nähe der Stadt Winner mitgenommen.
„Ach, Michael, lass uns anhalten!“
„Natürlich.“
Er fuhr auf den großen Acker, der als Parkplatz diente, und während der nächsten zwei Stunden stopften siesich mit Süßigkeiten voll und tranken Cola dazu, fuhren mit der Raumfähre und den Karussells; sie betraten das Lachkabinett und amüsierten sich über ihre grotesken, viel zu dicken oder zu dünnen Gestalten in den Zerrspiegeln. Sie warfen Münzen und schossen mit altertümlichen .22er Gewehren auf Reihen von bereits zerfetzten Enten und Kaninchen aus Holz. Susan gewann eine lächerlich aussehende Plastikpuppe, die so groß war wie das helläugige kleine Mädchen, dem sie sie gleich darauf schenkte.
In einem mit gelben Halbmonden, Sternen und Zauberzeichen übersäten blutroten Zelt breitete eine weißhaarige Zigeunerin Karten aus und las ihnen die Zukunft aus der Hand.
„Du wirst zwei Geliebte haben“, teilte sie Susan mit. „Den einen wegen seines Körpers, den anderen nur wegen seines Verstandes.“ Zu Michael sagte sie: „Und du bestehst aus zwei Menschen, wobei der eine den anderen verdeckt. Eine eifersüchtige Frau kann euch beide vernichten.“
Als sie lachten, wurde die Wahrsagerin zornig und drohte, sie zu verfluchen. Sie gingen weiter, um einem Trabrennen zuzusehen und sich dann die preisgekrönten Schafe, Hühner und Rinder anzugucken.
Ein zwei Wochen altes Jerseykalb saugte an Susans Fingern und sie fühlte die nasse, raue Zunge und den warmen Atem. Susan empfand eine Sehnsucht, die sie seit Jahren nicht mehr verspürt hatte. „Manchmal frage ich mich“, sagte sie, „ob das, was wir tun, überhaupt wirklich ist – Labore, Computer. Wenn ich mir
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