Tödliches Experiment: Thriller (German Edition)
der gleiche medizinische Geruch.
Und plötzlich ein anderer Eindruck. Menschen. Kalte, prüfende Augen, erfüllt von einem Geist, der jenseits der gewöhnlichen Intelligenz lag; Augen, die sie musterten und abschätzten.
Sie zwang sich aufzuschauen. Fünf Köpfe, sonst nichts. Bloß Köpfe.
Fünf Köpfe wie John, in offenen Kabinen im Halbkreis angeordnet. Matt schimmernde chirurgische Zangen, aufwärtsgebogen, um jeden der Köpfe an den Schläfen und an der Basis des Hinterhauptknochens unverrückbar zu fixieren; der lange, dünne Schlauch reichte direkt bis unter das Kinn und führte von dort zu der massiven Konsole hinunter.
Sie blickte von einem der stummen Gesichter zum nächsten. Es waren vier Frauen und ein Mann. Hager, bleich, mit farblosen Lippen, eingesunkenen Augen und kurzgeschnittenem Haar, die Köpfe lebendiger Toter.
Plötzlich eine Stimme. Eine Frau, dunkel, in mittleren Jahren, mit einer medusenartigen Krone von Elektroden auf dem glattrasierten Kopf. Die vielfarbigen Drähte vereinigten sich in einem gedrehten Seil, das hinter dem Kopf in der Wand verschwand.
Würde und Autorität klangen mit in dieser elektronischen, monotonen Stimme. „Susan, reiß dich zusammen. Susan!“
Susan sah sie an. Die Augen blickten nun sanfter. „Ich bin Helen, Susan. Du kennst mich. Fürchte dich nicht.Nicht vor uns. Nicht vor John. Er wollte nie, dass du ihn findest. Sei ihm nicht böse.“
Durch die offene Tür sah Susan noch immer Johns bleiches Gesicht, den gequälten Blick seiner Augen. Und sie wusste, dass sie nicht davonlaufen konnte. Jetzt nicht mehr. Es war zu spät. Wie in einem Traum ging sie zu ihm zurück und sagte schließlich: „Du bist nicht tot.“ Sinnlose Worte, aber mehr fiel ihr nicht ein.
Sein Mund verzog sich zu einem schwachen Lächeln. „Nein. Nur halb.“
Sie suchte nach weiteren Worten. „Dein Name tauchte auf meinem Computer auf. Der Artikel, den du einmal geschrieben und gleich wieder weggeworfen hattest.“
Überraschung, dann Erinnerung in den verschleierten Augen. Und Reue. Die flache, klanglose Stimme wurde beinahe zu einem Flüstern. „Natürlich. Und nur du hast je davon gewusst. Ich hatte es vergessen. Einen Augenblick lang hatte ich es vergessen. Eitelkeit. Ach, wie dumm.“
Es brach aus Susan hervor: „Warum, John? Warum hast du das getan?“
„Was getan?“
„Das! Was du bist. Warum?“
Er blickte starr, dann sagte er: „Vielleicht habe ich es nicht getan. Aber offenbar doch, wie? Wir sind ja alle Freiwillige hier.“ Sein Gesicht verzerrte sich plötzlich zu einer Grimasse. „Wer würde denn nicht die Gelegenheit ergreifen, ein Genie zu sein, ohne von einem dummen Körper belästigt zu werden? Bloß ein sechs Kilogramm schwerer Schädel voll aufgeputschter Gehirnwindungen, vor dem sich die Leute ekeln. Du ekelst dich doch vor mir, nicht wahr?“
„John, bitte!“
„Natürlich ekle ich dich an. Sieh dich doch an! Möchtest du mir den Kragen öffnen und den Stumpf sehen, in dem all die Schläuche stecken?“
Es war zu viel. Der Raum verschwamm vor ihren Augen. Blind tastete Susan nach der Tür der Bakterienschleuse. John, den sie liebte oder geliebt hatte, und doch nicht John. John, aber gleichzeitig ein Monster.
Sie öffnete die Tür, die Stimme änderte sich plötzlich, wurde müde und sanft und resigniert. „Susan, geh nach Hause und schlafe. Schlaf und bemühe dich, es zu akzeptieren. Und dann komm wieder. Ich brauche dich. Du kommst doch wieder, nicht wahr?“
Ihr Blick traf seinen und zum ersten Mal nahm sie ihn als Mensch wahr. Sie nickte. „Ja.“
Das Entsetzen schwand ein wenig. Der Raum um sie nahm wieder Konturen an. Die Wirklichkeit kehrte zurück, sie wusste wieder, wo sie war, wie sie hergekommen war, Tonis Ausweiskarte, die Wächter, die in der Cafeteria Karten spielten.
Und die Erkenntnis. Sie hatte seit Tagen gewusst, dass John am Leben war. Hatte es gewusst, aber dieses Wissen vor sich selbst verborgen. Hatte es gewusst, weil das, was der Computer gewusst hatte – Ideen, Formeln, Theorien – nur von John stammen konnte. Nicht von Palmer. Nicht von ihr selbst oder irgendjemandem sonst. Nur von John Flemming.
Ihr Entsetzen rührte nicht daher, dass er am Leben war. Ihr Entsetzen rührte daher, dass sie entdeckt hatte, was aus ihm geworden war, und sie fühlte die schreckliche Hilflosigkeit, die man in Gegenwart tödlich Verwundeter spürt.
„Ja“, wiederholte sie. „Ich komme wieder.“
Der Pfleger auf der anderen Seite
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