Toedliches Geheimnis
nicht?«
»Vielleicht ein andermal«, sagt er und wendet sich schließlich zu mir um. »Ich dachte nur, da wir ja zusammen
arbeiten müssen und so, sollten wir vielleicht noch mal ganz von vorne anfangen.«
»Wie meinst du das?«
Er schaut auf meine Haare und bemerkt vielleicht, dass ich sie zu zwei kunstvoll verzottelten Zöpfen geflochten habe. »Du weißt schon, so als hätten wir uns nie zuvor gesehen.«
»So als hättest du mir nicht das Leben gerettet?«
Er lächelt leise, die Ränder seiner blassrosa Lippen ziehen sich in die Höhe. »So was in der Art«, sagt er und starrt jetzt meinen Mund an.
»Du gibst es also zu.«
Er grinst und neigt seinen Körper noch weiter zu mir. Er riecht nach Ahornsirup, gemischt mit Motorradabgasen. »Ich gebe gar nichts zu.«
»Und was war das neulich in Chemie?«
»Ich hab aus Versehen das Röhrchen fallen gelassen.«
»Nein, ich meine danach... als du mich berührt hast - als du mich am Handgelenk gepackt hast.«
»Das war nur aus Versehen.«
»Das war kein Versehen.«
»Doch.« Er blickt wieder zur Seite.
»Bist du sicher, dass du mir nicht noch was sagen willst?«
Ben schüttelt den Kopf, und ich schürze die Lippen. Ich frage mich, warum er unbedingt all diese Geheimnisse für sich behalten will, wenn er doch offensichtlich versucht, die Situation zwischen uns zu klären.
»Also, was ist, sollen wir noch mal ganz von vorne anfangen?«, fragt er.
»Von mir aus«, sage ich noch immer total verwirrt.
»Hi, ich bin Ben Carter.« Er lächelt, weil ihm natürlich klar ist, wie albern das hier ist.
»Camelia Hammond.« Ich grinse. »Und bevor du fragst, ja, es stimmt, meine Eltern sind Hippies und dachten, es wäre komisch, mich nach einer Echse zu benennen. Ich hab dann gegen ihren Willen die Schreibweise geändert.«
»Na ja, ich schätze mal, das heißt, du hast einen guten Überlebensinstinkt«, sagt er und rückt ein Stückchen näher. »Du kannst dich gut an deine Umgebung anpassen.«
»Oh mein Gott, du klingst genau wie meine Mutter.«
»Ich werde versuchen zu vergessen, dass du das eben gesagt hast.« Sein Lächeln wird noch breiter. »Und, kommst du viel raus, Camelia Hammond?«
»Du meinst, für gutes Betragen?«
»Ich meine mit Freunden. Was denkst du? Hast du am Samstag Zeit?«
Ich hole tief Luft und murmele das Wort Nein. Zu hören ist allerdings ein Fa.
»Cool«, sagt er. »Wie wär’s so gegen zwei? Wir könnten uns zu einem späten Mittagessen treffen.«
Ich nicke, und er steht auf und stößt dabei mit dem Knie gegen meins.
»Alles okay mit dir?«, frage ich, weil ich merke, dass er plötzlich ganz erschrocken aussieht. Er kneift die Augen zusammen und tritt einen Schritt zurück.
»Ich muss jetzt gehen«, sagt er ausweichend.
»Was ist denn los?«, frage ich und stehe ebenfalls auf.
Aber anstelle einer Antwort geht er zu seinem Motorrad zurück und rast davon - fast so schnell wie an dem Tag, als er mir das Leben gerettet hat.
19
Heute Morgen war sie draußen vor der Schule und wollte Aufmerksamkeit erregen. Wie die letzte Schlampe.
Vor der Schule, das ist seit Neuestem ihr Platz, wo sie auffallen will. Da hält sich sonst keiner auf, aber sie will auf dem Präsentierteller sitzen, damit die Leute sie sehen, sobald sie angefahren kommen.
Ich hab das Alphabet vorwärts und rückwärts aufgesagt und hab die Ziegelsteine am Schulgebäude gezählt, um mich zu beruhigen. Wenn ich das nicht getan hätte, wäre ich gleich losgegangen und hätte ihr in ihr blödes, kleines Gesicht geschlagen.
Manchmal macht sie mich eihfach so wütend, so wütend, dass ich kaum noch richtig denken kann. Sie will wirklich, dass ich die Kontrolle verliere.
20
Ben und ich haben uns im Seaview Park verabredet. Er wollte mich abholen, aber Kimmie hat darauf bestanden, mitzukommen.
»Ich weiß, dass an den Gerüchten nichts dran ist«, sagt sie, »aber wenn doch irgendwas Komisches passieren sollte und ich nicht versucht hätte, etwas dagegen zu unternehmen, dann könnte ich mir das niemals verzeihen.«
»Was denn Komisches?«
Sie zuckt die Schultern. »Zum Beispiel, dass du irgendwo gefesselt und tot in der Erde verscharrt liegst.«
»Das ist doch nicht dein Ernst?«
»Nee, war nur’n Scherz.« Sie verdreht die Augen. »Aber das ändert trotzdem nichts an der Tatsache, dass der Typ mir mit seinem Handauflegen echt unheimlich ist.«
Ich sehe zu, wie sie meinen Kleiderschrank durchwühlt auf der Suche nach etwas, das ich anziehen kann, und
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