Toedliches Geheimnis
geschlossen ist. Aber anstatt hineinzuschauen, eile ich hinüber ins Wohnzimmer. Meine Eltern sitzen auf dem Sofa. Das Gesicht meiner Mutter ist tränenüberströmt.
»Mom?«
»Cam, kannst du uns noch ein paar Minuten in Ruhe lassen?«, sagt mein Dad mit dem Rücken zu mir.
Meine Mutter schluchzt - wie ich es noch nie erlebt habe.
»Was ist passiert?«, frage ich und trete noch einen Schritt näher. Ich bemerke, dass meine Mutter ihr Handy umklammert hält.
Endlich dreht sich mein Dad zu mir um. »Deine Mutter hat eben eine beunruhigende Nachricht erhalten.«
»Es geht um Tante Alexia«, sagt meine Mom und versucht, sich zusammenzureißen.
»Was ist mit ihr?«, frage ich.
»Sie ist im Krankenhaus«, sagt sie und bricht wieder in Tränen aus, als würde alles nur noch schlimmer dadurch, dass sie es laut ausgesprochen hat.
Ich bleibe noch einen Augenblick stehen und sehe sie weinen und warte darauf, dass einer von beiden mich auf klärt, was eigentlich passiert ist, aber keiner gibt mir eine Antwort. Es ist, als wäre ich gar nicht mehr da. Schließlich wende ich mich ab und gehe zurück in mein Zimmer.
Der Schrank ist voll zu sehen.
Mein Herz rast, als ich den alten Pokal von meinem Schreibtisch ergreife, über meinen Kopf hebe und die Tür aufziehe.
Aber es ist niemand drin, und nichts sieht irgendwie verändert aus.
Ich atme tief durch und versuche Kimmie anzurufen, aber ihre Mutter sagt, sie sei in die Bücherei gegangen. Ich wähle die Nummer von ihrem Handy, aber da geht gleich die Mailbox dran. Und auch Wes ist nicht zu Hause.
Ich weiß nicht mehr, was ich tun und an wen ich mich wenden soll, und wische erst einmal das Wort SCHLAMPE vom Spiegel, als wäre es nie da gewesen. Dann kehre ich die Überreste des Schlafanzuges in die Schachtel und schiebe sie unter mein Bett, bis sie ganz außer Sichtweite ist.
Meine Mutter weint noch immer im Wohnzimmer; ich versuche noch einmal Kimmie zu erreichen. Ohne Erfolg. Schließlich höre ich eine Schranktür in der Küche klappen. Ich gehe hinüber und finde meinen Vater, der gerade Gin in eines von Moms Lieblingsgläsern gießt - obwohl sie eigentlich nie was trinkt. Ich wusste nicht einmal, dass sie einen geheimen Vorrat haben.
»Dad?«, frage ich, und er blickt überrascht auf.
Er dreht sich zu mir um. »Deine Mom ist total durcheinander«, sagt er, um den Gin zu erklären.
»Ich weiß, aber ich muss unbedingt mit euch reden.«
»Kann das nicht bis morgen warten?«
Ich sauge die Lippen nach innen und bemerke, dass auch mein Dad ganz rote Augen hat, so als wäre er ebenso betroffen wie meine Mom.
»Das Fenster im Badezimmer ist kaputt«, sage ich schließlich als eine Art Testballon. »Es war ein Unfall. Kimmie hat einen Stein geworfen, und es...«
»Ist schon gut«, sagt er und schneidet mir das Wort ab. »Ich kümmere mich später darum.« Und damit geht er zurück ins Wohnzimmer, wo meine Mutter zusammengekauert sitzt.
Wieder in meinem Zimmer probiere ich, noch einmal bei Kimmie anzurufen. Immer noch nichts. Und so setze ich mich auf die Bettkante und versuche, mich zu beruhigen, obwohl ich das Gefühl habe, dass mir alles entgleitet.
Ich nehme Bens Telefonnummer aus meinem Schmuckkästchen. Ich habe entsetzliche Angst, ihn anzurufen, aber ich muss wirklich mit jemandem reden. Und vielleicht ist er der Einzige, der mir jetzt bleibt.
Ich fange an, seine Nummer zu wählen, aber da höre ich etwas vor meinem Fenster - Motorengeräusch.
Ich sehe nach draußen. Ben stellt den Motor aus, steigt von seinem Motorrad und geht zur Haustür hinüber. Noch bevor er sie erreicht, rufe ich seinen Namen und bin selbst überrascht.
Er winkt, als er mich sieht. Der Mond taucht ihn in helles Licht, und ich sehe die scharfen Kanten seines Gesichts und seine dunkelgrauen Augen.
Ohne ein Wort zu sagen, stopfe ich die Fotos in eine Tasche, zusammen mit der Karte und dem zerfetzten Stoff, schiebe das Fliegengitter hoch und klettere nach draußen.
35
Ben schlägt vor, dass wir uns draußen auf die Stufen vorm Haus setzen, aber nach allem, was heute Abend geschehen ist, will ich einfach nur noch weg hier.
»Bist du sicher?«, fragt er.
Ich nicke, und er betrachtet mich eine Weile, als wüsste er nicht, was er tun sollte. Aber dann reicht er mir seinen Helm und sagt, dass ich mich festhalten soll.
Ich lege ihm die Hände um die Taille, und wir fahren los, die Straße hinunter. Das Geräusch des Motors erweckt meine Sinne wieder zum Leben und gibt mir mehr denn
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