Toedliches Geheimnis
zurückhalten konnte.
»Was kann ich sagen, damit du mir vertraust?«, fragt er.
Ich schneide mir ein Stück von meinem Toast ab und überlege, was notwendig wäre, damit ich momentan überhaupt irgendjemandem vertraue. »Fass mich noch
mal an«, sage ich und schaue ihm dabei in die Augen, »und dann erzähl mir etwas aus meiner Vergangenheit. Bist du dazu in der Lage?«
Er nickt und lässt den Blick durchs Restaurant schweifen, vielleicht will er sichergehen, dass uns keiner belauscht. Währenddessen strecke ich die Hand mit der Handfläche nach oben über den Tisch und warte.
Ben nimmt sie und schließt die Augen. Er atmet dabei ein und aus, als würde es seine ganze Konzentration erfordern - als würde er sich alle Mühe geben, mir nicht wieder wehzutun. Seine Handfläche fühlt sich warm an auf meiner Haut. Ich schließe ebenfalls die Augen und frage mich, was er wohl fühlt.
Und ob sein Herz ebenso schnell schlägt wie meines.
Seine Finger streichen über meine Hand, als wollte er sich die Linien meiner Handfläche und die Haut über meinen Knochen einprägen. Ich schaffe es kaum, einfach nur dazusitzen - und nicht über den Tisch zu stürzen und ihn wieder zu küssen. Ich öffne die Augen, um seinen Mund zu sehen. Er zittert leicht, so als wäre er ganz woanders.
Am liebsten würde ich ihn fragen, was er sieht, aber ich will diesen Augenblick nicht stören.
Und ich will nicht, dass er loslässt.
Seine Augen bewegen sich unter den Lidern, als könnte er wirklich etwas spüren, was mich plötzlich vollkommen verunsichert. Vielleicht bin ich ja diejenige, die etwas zu verbergen hat.
»Ich kann dich als kleines Mädchen sehen«, flüstert er schließlich. »Wenigstens glaube ich, dass du es bist - dieselben
welligen, blonden Haare, dieselben dunkelgrünen Augen. Du trägst ein langes, gelbes Kleid mit großen lila Blumen, und um dich herum ist hohes Gras.«
Ich nicke. An das Kleid kann ich mich erinnern. Ich spüre einen kalten Hauch im Nacken.
»Und du weinst«, fährt er fort. »Hast du dich verlaufen?«
Ich drücke seine Hand und erinnere mich an jenen Tag in der zweiten Klasse, als ich vom Spielplatz in der Schule weggelaufen bin. Meine Mutter, die mich nie weit aus den Augen gelassen hatte, war außer sich, als sie den Anruf bekam - so wurde es mir jedenfalls berichtet -, aber glücklicherweise musste sie sich nicht lange sorgen. Denn als die Schule sie benachrichtigte, hatte ein Hilfslehrer mich bereits gefunden, wie ich da zusammengekauert saß und mehr Angst vor der Reaktion meiner Mutter hatte als davor, dass ich den Weg nach Hause nicht mehr finden könnte.
Ich wollte nämlich gar nicht weit gehen, nur ein Stück über die Steine und den Hügel hinab - nur um zu sehen, ob ich es konnte und wie es sich anfühlen würde. Sich davonzuschleichen.
So ähnlich wie heute Abend.
Ich ziehe meine Hand zurück, weil ich nicht noch mehr hören will. »Ich glaube dir«, flüstere ich und starre ihn an. Bens Augen sind gerötet, sodass ich mich frage, ob er eben irgendwie auch meine Angst spüren konnte.
»Wie ist der French Toast?«, fragt die Kellnerin, die plötzlich bei uns am Tisch steht.
»Ein bisschen zu heftig«, sage ich.
Sie schaut zwischen uns beiden hin und her und bemerkt unsere plötzlich erhitzten Gesichter.
»Vielleicht sollte ich es auch mal mit dem French Toast probieren«, sagt sie mehr zu sich selbst.
Mir entfährt ein nervöses Kichern. Ben lächelt ebenfalls. Dann folgt ein seltsam peinlicher Augenblick - so als würden wir ein Geheimnis teilen. Als würden wir uns schon seit Jahren kennen.
»Ich möchte dir erzählen, was heute Abend passiert ist.««
Ben nickt, als wäre er begierig darauf, es zu erfahren. Und so erzähle ich ihm alles, auch das, was schon vor einigen Tagen geschehen ist.
»Vielleicht sollten wir die Polizei informieren«, sagt er.
»Und was sollen wir ihnen sagen? Dass du mich berührst und meine Leiche sehen kannst? Dass ich seltsame Mitteilungen bekomme, genau wie diese Debbie? Ich meine, glaubst du ehrlich, die nehmen irgendetwas davon ernst?«
»Ich glaube ehrlich, dass es einen Versuch wert ist.«
Ich merke, wie sich mein Kiefer verspannt, weil ich noch immer meine Mutter vor mir sehe, wie sie tränenüberströmt auf dem Sofa sitzt. »Meine Eltern haben im Moment genug andere Probleme.«
»Dein Leben ist wirklich in Gefahr«, drängt er. »Das steht auch in den Mitteilungen.«
»Dann werden wir jetzt mehr darüber herausfinden.« Ich lege
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