Tödliches Paradies
durchmaß. Seine Größe, das schmale Gesicht, der Gang, die lächelnden Augen – wie von unsichtbaren Schnüren gezogen bewegten sich die Köpfe der Damen in den Liegestühlen. Es war kurz vor dem Mittagessen, nicht allein deshalb glitzerte manches Auge so hungrig.
»Der Neue.«
Der Neue tauchte nur Minuten später im knappen Badeslip auf, ein federndes Wippen, der perfekte Sprung, ein sauberer Kraulsport! Leider – so unerwartet, wie dieses ansehnliche Mannsbild aufgetaucht war, so überraschend war es wieder verschwunden. Wohin eigentlich?
Ja wohin?
Ein Blick in die Runde hatte Tim Tannerts Überzeugung bestärkt: Pool – nein danke. Das Hotel war zwar einzigartig, da hatte der geschniegelte Pichler in München schon recht gehabt – doch wenn man seine Bewohner betrachtete? – Kein Platz zum Feiern. Bedauerlicherweise nein …
Langsam und vollgepackt mit zärtlichen Gedanken wanderte Tim zwischen hohen roten Pinienstämmen. Das gewaltige Hotelareal schmiegte sich mit all seinen Terrassen, Gärten, Tennisanlagen, Golfplätzen an einen langen sanften Berghang. Über ihm sang der Wind in den Zweigen, und der Tannenduft vermischte sich mit dem dunklen Duft des Meeres.
»Rechts am Hang«, hatte Helene Brandeis gesagt. »In dem Pavillon seid ihr völlig ungestört. Da müßt ihr rauf, das lohnt sich.«
Rechts am Hang. Dann sah er es: Braune Sandsteinsäulen, sechs Säulen, darüber ein rundes Dach, ringsum Blumen. Ein ganzer Wall von Farben, zur Hecke geschnittener Oleander in lachsrot, karmin und violett.
Tim lief schneller. Und die letzten Meter lief er, ohne eigentlich zu wissen warum, auf Zehenspitzen. Helenes Sündenstätte. Der Teepavillon.
Der Boden bestand aus Mosaik, und darüber lag eine ganze Patina von Sünden. Und am wichtigsten: Es gab Liegestühle. Und was für Apparate! Auch sie vom Alter getönt, doch tadellos erhalten. Englische Deck-chairs, groß genug, um eine ganze Familie aufzunehmen. Und geradezu sündhaft bequem.
Tim rannte los, um Melissa zu berichten.
»Unglaublich!« rief auch Melissa staunend, als sie eine Stunde später den Pavillon in Augenschein nahm. »Wie ein kleiner Tempel, nicht?«
Dann dachte sie praktisch. »Beleuchtung? Nehmen wir Kerzen mit. Und was ziehen wir an?« Für Melissa stand schon längst fest, ihr Kleid, um das sie so viel Getue machte, das Kleid aus der ›Boutique Manhattan‹ in Rottach. Er durfte es nicht sehen, was er äußerst unfair fand. Tim – versteht sich – mit Krawatte.
»Und was zum Futtern.«
»Klar.«
Und die Getränke? Denn im Formentor würden sie den Champagner nun wirklich nicht kaufen. Bei den Preisen …!
Felix Pons, der Chefportier, besorgte im Handumdrehen einen Leihwagen. So fuhren sie noch an diesem Nachmittag über den Drachenkamm hinunter nach Pollensa, einem kleinen verträumten Landstädtchen. Am Marktplatz trennten sie sich. Jeder ging seine eigenen Wege. Eine Stunde später sah man sie wieder, beladen mit Päckchen und Plastiktaschen vor der Sandsteinbank unter den Platanen.
Neugierig beäugte er ihre Beute: »Was ist da drin? Was haste?«
»Sag' ich dir nicht. – Und du?«
»Das ist einfach.«
»Alkohol, oder?«
»Richtig.« Er nickte grimmig. »Alkohol. Soll ich dir was sagen? Dein Zeug werd' ich auch gleich sehen. Denn ich hab' eine Superspitzenidee. Und weißt du, welche? Wir machen eine Generalprobe.«
Das gefiel ihr. »Nicht schlecht. Wir ziehen unsere Regenmäntel an, und ich versteck' das ganze Futterzeug darunter. Und du die Flaschen …«
»Du ziehst dein Kleid an.«
»Nie«, protestierte sie. »Dann ist es morgen kaputt.«
»Hm«, meinte er nachdenklich. Der Himmel färbte sich mit Abendrosa, als sie ins Hotel zurückkehrten. Am Parkplatz schlug Tim eine Programmänderung vor. »Was brauch' ich den Regenmantel, ich pack' mir die Flaschen und geh' schon rauf und richte die Liegestühle.«
»Aber ich mach' mich noch ein bißchen hübsch.«
»Na gut, wenn du meinst. Für mich bist du das immer.«
Sie lächelte mit ihren grünen Augen, er wollte ihr noch einen Kuß geben. Es blieb bei dem Versuch. Sie riß ihre Tüten an sich und rannte los.
»Laß mich nicht zu lange warten!« schrie er ihr nach: »Den ganz großen Auftritt haben wir erst morgen.«
Sie winkte nur. Sie sah nicht einmal zurück. Er aber fragte sich, fragte sich das mit tiefem Ernst und voller Zweifel: Wie bist du bloß an so 'ne Frau gekommen? Hast du sie dir wirklich verdient, Alter? Mal ganz ehrlich?
Zunächst wußte Tim das
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