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Tödliches Paradies

Tödliches Paradies

Titel: Tödliches Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Selbst ein Hotelangestellter muß manchmal Geduld bei seinen Gästen voraussetzen. Eine Sekunde … Ich habe auch noch andere Aufgaben. Kann ich Ihnen helfen, Herr Doktor?«
    Tim tupfte sich mit dem Taschentuch einen Tropfen Blut von den Lippen. »Ja.« Er hörte seiner Stimme zu, sie war leise und unsicher, schüchtern, und sein: »Haben Sie vielleicht meine Frau gesehen?« kam ihm selbst kindisch, schlimmer, lächerlich vor.
    Der Mann mit den Stichelhaaren drehte ihm den Kopf zu. Sein Gesicht schien nur aus Fleisch und einer riesigen Hornbrille zu bestehen. Was zählte der schon? Pons zählte.
    »Leider nein, Herr Doktor. Ich habe erst vor einer halben Stunde meinen Dienst angetreten. Aber mein Kollege Martinez ist noch im Haus. Ich könnte ihn fragen.«
    »Danke. Das hab' ich selbst schon getan.«
    »Sicher macht die gnädige Frau einen Spaziergang, meinen Sie nicht?«
    Meinen Sie nicht? Welche Frage! Was meinte er? Was gab es noch zu meinen? Spaziergang …? Zum Pavillon wollten wir, den morgigen Tag mit einer gewaltigen Generalprobe einleiten. Sekt wollten wir trinken, auf die Bucht schauen, uns an den Händen halten, uns küssen, vielleicht lieben, vor allem ein bißchen zurückdenken bis zu jenem ersten Hochzeitstag vor einem Jahr, der so erbärmlich schiefgelaufen war, weil irgendeine Bäuerin auf irgendeinem Hügel zwischen Scharling und Kreuth darauf bestanden hatte, ausgerechnet an diesem Abend Drillinge zur Welt zu bringen, und weil dann eines der Kinder, ein blaßrosa, runzliges, zuckendes Bündel Leben mit seiner Atmung nicht zurechtkam und ins Krankenhaus nach Bad Tölz gebracht werden mußte, und weil dort der diensthabende Arzt mit zwei verschleimten Säuglings-Bronchien …
    Ach, zum Teufel damit!
    »Die Nacht ist ja so warm, Herr Doktor. Vielleicht ging die Señora zum Strand?«
    Strand? Wohin macht man hier schon Spaziergänge, wenn man schon nicht zum Pavillon will: Zum Meer, zum Strand …
    Der Weg führte quer durch den Park hangabwärts bis zu einem langen Sandstreifen, der eine kleine Bucht umschloß. Die Direktion des Formentor hatte für ihre Gäste Sonnenschirme aus geflochtenen Palmenzweigen aufstellen lassen. Im diffusen, grauen Licht des aufgehenden Mondes wirkten sie wie große schwarze Fliegenpilze.
    Tim lehnte den Rücken gegen den glatten Stamm eines gewaltigen Eukalyptusbaums. Die schwarzen Äste verschlangen sich vor dem Himmel. Die Lichterketten drüben auf der anderen Seite der Bucht schienen zu schwanken. Zu seinen Füßen flüsterte das Wasser. Der Wind hatte sich nun vollkommen gelegt. Das Meer war wie eine einzige ölige, nachtblaue Fläche. Mein Gott …! Mehr fiel ihm nicht ein als das. Und: Wenn's dich gibt, hilf mir …! Er dachte es, während der Rest seines kontrollierten Ichs ihn zur Ordnung rief: Du bist ja völlig hysterisch. Denk nach. Behalt deine Ruhe. Verdammt noch mal, was soll denn schon passiert sein?
    Er ging weiter. Der Sand schien an seinen Sohlen zu zerren, die Schuhe füllten sich mit feinen Körnern.
    »Melissa!« Es war das erste Mal, daß er ihren Namen in die Stille brüllte.
    Und wieder. Er hatte die Hände zu einem Trichter geformt, und ihr Name klang weit über das flüsternde Meer. Aber da war niemand, der antwortete.
    Er setzte sich. Die Knie wollten nicht, sein Körper war so schwer. Denk nach und überlege. Doch was? Himmelherrgott noch mal, was gibt's zu überlegen? Melissa, die sich ihr neues Kleid anzieht, um mit dir ein Glas Sekt zu trinken, und sich dann in Nichts oder in den Fluten auflöst. Melissa – »Für mich ist sie mit ihren langen Haaren wie ein Undine-Wesen.« Helene Brandeis hatte das gesagt: »Irgendein Geheimnis ist um sie.«
    Ja, von wegen, Helene! Und welches Geheimnis? Was soll dieser ganze Unsinn?!
    Zehn Minuten später war Tim im Hotel zurück.
    Vor seinen Schlüsselfächern schüttelte Felix Pons bedrückt den Kopf. Tim ging weiter. Der Sand unter seinen Sohlen knirschte auf den Marmorfliesen. Gäste kamen ihm entgegen, irgend jemand grüßte. In Tim war nichts als eine einzige Auflehnung: Das gibt es nicht! Das ist alles nur ein verrückter Traum. Das kann nicht sein …
    Als seine Schulter gegen einen weißgekleideten Mann stieß, der ein Tablett trug, wurde ihm klar, daß er im Begriff war, den Speisesaal zu betreten. Da saßen sie nun und aßen. Bestecke funkelten zwischen den farbenprächtigen Blumensträußen, die Gesichter waren in den hellen Schein des schweren Kristallüsters getaucht, der von der Decke hing.

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