Tödliches Paradies
– Amerikaner anscheinend.
»Pardon.« Er hatte sich entschlossen, auf Höflichkeiten zu verzichten. Er schob den Arm vor und drängte sich durch. Er wartete auch nicht, bis der zweite Portier geruhte, ihm seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. »Hören Sie mal, ist mein Schlüssel da? Schauen Sie mal nach.«
An Blicken und Gesichtern war abzulesen, was man von ihm hielt.
Der Portier schüttelte nur mißbilligend den Kopf. »Nein. Er ist nicht da, Herr Doktor Tannert.«
»Nein?! – Warum nicht?« Er dachte es nicht nur, es schrie in ihm. Er ging zum Foyereingang, ein Boy riß die Tür auf, Tim sog tief die Abendluft in die Lungen und hatte die Lösung: Wieso war er auch nicht sofort darauf gekommen? Natürlich. Er rannte über den Vorplatz die breite Treppe zum Parkplatz hoch, weiter, lief leichtfüßig, freudig, war sich nun so gewiß, weil es ja auch logisch war, oder? Es hatte mit ihrer ›großen Überraschung‹, dem neuen Kleid, zu tun.
Sie hatte es doch angezogen, um ihn zu überraschen. Aber es war ihr zu auffallend, und deshalb ging sie nicht durch die Halle, sondern hatte sicher einen Nebenausgang genommen. Durch die Terrassenbar zum Beispiel. Dort gab's um diese Zeit kaum Gäste. Und von der Terrasse war sie dann den anderen Weg an den Tennisplätzen vorbei zum Pavillon gegangen. Und das genau zu der Zeit, als er von der Warterei entnervt zum Hotel zurückkehrte.
Sie hatten sich verfehlt! Nichts weiter …
Er hatte inzwischen den breiten beleuchteten Hauptweg verlassen. Hier war die Tuffsteintreppe, über die er am Nachmittag gestolpert war. Und von dort ging's hoch zum Pavillon.
Er spürte jetzt sein Herz. Er war zu schnell gerannt. Er keuchte. Die letzten drei Stufen – schon von den Schatten eingeholt. Die dunkle hohe Tempelform. Die Sandsteinpfeiler schimmerten bläulich. Sie sammelten das Licht des Mondes, der sich über den Bergen hochschob.
›Melissa.‹ Er sprach es nicht aus, er dachte es nur. Die Enttäuschung jagte durch jede Zelle seines Körpers. Er lief die drei Meter nicht mehr, die ihn vom Eingang trennten. Wieso auch? Er wußte es schon jetzt: Sie war nicht da.
Schließlich ging er hoch. Die Flasche Champagner stand dort, wo er sie gelassen hatte: auf der Lehne des Deckstuhls. Ein bißchen Goldschimmer, eine dunkle Silhouette.
Er packte sie am Hals und schleuderte sie über die Steinbrüstung. Er wußte nicht, wo sie hinflog. Er hörte auch keinen Aufprall. Nichts, nur ein Rauschen in den Zweigen. Dann das Bellen eines Hundes. Vom Hotel kamen Stimmen und das Klappern von Autotüren, und dann, als es wieder still wurde, trug aus der Weite der Bucht der Wind den Ruf einer Schiffssirene heran.
Mein Gott … Melissa!
Melissa, was ist das für ein Spiel? Und wenn es das sein soll, lange halte ich es nicht durch. Wirklich nicht. Wie denn, Melissa?!
Der rote Seat stand am Ende der langen Wagenreihe, genau auf dem Platz, auf dem er ihn abgestellt hatte. Er stand unter lauter Nobelmarken. Sogar zwei Rolls-Royce waren vertreten. Auch bei Leihwagen pflegten die Gäste des Formentor nicht auf den Preis zu achten. Der Seat war das kleinste Fahrzeug. Die Türen waren verschlossen, so, wie er sie verlassen hatte.
Tim preßte die Stirn an die Seitenscheibe. Der helle Fleck auf dem Beifahrersitz? – Das war der Bauernhut, den Melissa heute nachmittag in Pollensa gekauft hatte.
Seine Unterlippe schmerzte. Er spürte den süßlichen Geschmack von Blut. Er hatte sich mit den Zähnen verletzt, ohne es zu merken.
Er preßte die Hand gegen den Mund, als er wieder das strahlend erleuchtete Foyer des Formentor betrat. Am Empfang wartete ein einzelner Gast im Dinnerjacket, ein Koloß von Mann. Der kurzgeschorene Kopf hackte mit zornigen Bewegungen auf den kleinen Chefportier ein. Viel Mühe, die Stimme zu dämpfen, machte er sich auch nicht: »Ich hab' den Platz vorgebucht. Ich hab' zwei Stunden heute vormittag verloren. Wissen Sie überhaupt was das heißt: Gebucht?«
»Verzeihung, Herr Rannecker.«
»Was heißt hier Verzeihung? Ich bestehe auf einem ordnungsgemäßen Ablauf. In einem First-class-Hotel kann ich das erwarten. Ich bin doch hier nicht in Afrika?«
Felix Pons las Tim auf dem kleinen Messingschild, das vor dem Portier stand. Pons hatte eine Art Kinderarzt-Lächeln aufgesetzt, ohne damit viel Wirkung zu erreichen, doch als er nun seine Hand hob, ganz sanft, lag eine Bestimmtheit in der Bewegung, die ihm sofort Gehör verschaffte.
»Herr Rannecker, so bedauerlich das auch sein mag:
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